Die Ausladung des Philosophen Sebastian Ostritsch von einem Vortrag an der Hochschule für Philosophie in München hat für viel Kritik gesorgt, und dies nicht nur in liberal-konservativen Medien. Wie sollte es auch anders sein? Ein Philosoph wird gecancelt, einfach nur, weil er konservative katholische Positionen etwa zur Abtreibung oder zu Geschlechterfragen vertritt (und das ausgerechnet an einer katholischen Hochschule). Nichts daran ist in irgendeinem vernünftigen Sinne „rechtsextrem". Dennoch hat die Hochschule in einer Stellungnahme die Ausladung Ostritschs gerechtfertigt. Kaum Beachtung gefunden hat bisher die Tatsache, dass auch die beiden großen philosophischen Fachgesellschaften – die „Deutsche Gesellschaft für Philosophie“ (DGPhil) und die „Gesellschaft für Analytische Philosophie“ (GAP) – sich dem angeschlossen haben. Aber die Gründe sind alles andere als überzeugend.
Die Hochschule argumentiert so: „Im Vorfeld der Veranstaltung wurden seine (Ostritschs) polarisierenden Äußerungen zu gesellschafts- und kirchenpolitischen Themen als Publizist offenkundig und führten an der Hochschule zu einer massiv aufgeladenen Debatte darüber, ob man unter diesen Umständen die Einladung aufrechterhalten könnte, zumal seine Positionen in der Vergangenheit auch an einer anderen Universität zu erheblichen Auseinandersetzungen geführt hatten. Nach intensiven Beratungen ist die Hochschulleitung zu der Einschätzung gelangt, dass unter den gegebenen Begleitumständen der intendierte akademische Diskurs über Gottesbeweise nicht mehr gewährleistet werden konnte, weil er von anderen Themen überlagert werden würde. Vor diesem Hintergrund erschien ein für alle Beteiligten sicherer Verlauf der Veranstaltung gefährdet. Aus diesen Gründen wurde die Entscheidung getroffen, die Veranstaltung abzusagen.“
Polarisierung als solche ist nicht immer schlecht
Zunächst ist die Tatsache, dass ein Philosoph „polarisierende Äußerungen" macht, kein hinreichender Grund dafür, ihn nicht einzuladen, und erst recht kein Grund, ihn wieder auszuladen, zumal wenn, wie im Falle Ostritschs, solche „Äußerungen" vorher bekannt waren. Weder ist Polarisierung als solche (immer) schlecht noch gibt es ohne Weiteres einen neutralen Standpunkt, der es erlauben würde, etwas in kritischer Absicht als polarisierend zu bewerten. Auch ist man oft nicht dagegen gefeit, dass Behauptungen über Tatsachen, die tatsächlich welche sind, einen polarisierenden Effekt haben. Die wahre Tatsachenbehauptung etwa, dass es biologisch gesehen nur zwei Geschlechter gibt, wird ja nicht dadurch ungerechtfertigt oder gar falsch, dass bestimmte Gruppen sie bestreiten und ihre Feststellung polarisierend wirkt. Und natürlich sind manche Positionen, die manche für legitim halten – etwa die, zu gendern oder Spätabtreibungen zu verteidigen –, faktisch nicht weniger polarisierend. „Umstritten" und „polarisierend" sind immer die anderen; aber ein Pol hat immer einen Gegenpol.
Die zwei von der Hochschule eigentlich geltend gemachten Gründe könnten zwar nun in bestimmten Situationen durchaus greifen. Sie sind aber, erstens, in Bezug auf den Fall Ostritsch gerade nicht überzeugend. Ob der bei einer Veranstaltung „intendierte akademische Diskurs" stattfinden kann, ist am Ende des Tages ebenso eine Frage des Hausrechts (und guter Moderation) wie die Gewährleistung eines „sicheren Verlaufs". Zwar ist wahr, dass es in Extremsituationen (sagen wir bei einer glaubhaften Bombendrohung) legitim sein kann, eine Veranstaltung abzusagen. Aber das ist jedenfalls nicht die Regel; in den bekannten Fällen akademischer Cancelversuche hat oder hätte man die Veranstaltung durchführen können, weil oder wenn man denn wollte, notfalls mit Polizeischutz. Vor allem muss man sich, zweitens, klarmachen, dass man mit diesen Argumenten, die man ja nun schon andernorts oft genug gehört hat, jede Ausladung rechtfertigen kann, sobald es Protest gibt.
Diese Carte blanche, die sich die Hochschule selbst ausgestellt hat, haben die „Gesellschaft für Analytische Philosophie“ (GAP) und die „Deutsche Gesellschaft für Philosophie“ (DGPhil) akzeptiert, ja mehr noch, sie haben die Vollmacht cancelwilliger Hochschulen sogar noch vergrößert. Nicht, dass sie auf den Fall Ostritsch reagiert hätten; sie haben es nicht, weshalb die Fachgruppe Philosophie des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“ bei den Vorständen nachfragte, warum es keine kritische Stellungnahme gegeben habe.
Antworten, die nicht befriedigen
Ruth Hagengruber von der DGPhil schrieb mir, dass Einladungen und Ausladungen üblich seien und zudem Zeugnis der Meinungsfreiheit; außerdem sei der Fall in der Presse hinreichend erörtert worden (ich gebe das hier indirekt wieder; auf meine Bitte, aus ihrer Email zitieren zu dürfen, hat sie ebenso wenig reagiert wie auf meinen Vorschlag, eine öffentliche Online-Diskussion zu dem Thema abzuhalten). Die Antwort der GAP lautete so: „Wir sind dabei zu dem Schluss gelangt, dass sich die GAP zu dieser Angelegenheit nicht öffentlich äußern sollte. Es lag im Ermessen der einladenden Hochschule, die Vortragseinladung auszusprechen und auch wieder zurückzunehmen. Es ist nicht Aufgabe der GAP, die Gründe dafür zu evaluieren.“
Diese Antworten sind in mehreren Hinsichten nicht befriedigend (um das Mindeste zu sagen). Zunächst zur DGPhil: Wenn ein Philosoph in seiner Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird, gehört es zu den offenkundigen Aufgaben einer Fachgesellschaft, diese (und jenen) zu verteidigen (auch dann, wenn die Person, wie Ostritsch, nicht Mitglied der DGPhil ist); in der Tat hat die GAP in ihrer Satzung den „Einsatz für Freiheit von Forschung und Lehre“ sogar als Ziel verankert. Diese Aufgabe wird nicht dadurch erledigt, dass ein Fall in der Presse hinreichend erörtert wird; Fachgesellschaften müssen in einem solchen Diskurs die Stimme erheben, dafür sind sie ja unter anderem da.
Dass, wie Ruth Hagengruber argumentiert, Ein- und Ausladungen üblich seien und zudem Zeugnis der Meinungsfreiheit, ist, so allgemein gesprochen, klarerweise falsch (ganz abgesehen davon, dass es hier um Wissenschaftsfreiheit geht, nicht um Meinungsfreiheit). Denn da unbestritten ist, dass die Wissenschaftsfreiheit Grenzen hat, gibt es auch Grenzen für die Freiheit, Menschen auszuladen oder auch gar nicht erst einzuladen. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört auch das Recht auf Teilhabe an der wissenschaftlichen Praxis.
Gründe für Ausladungen müssen evaluiert werden
Wer grundsätzlich keine Frauen zu Konferenzen einlädt, kann sich nicht auf seine Wissenschaftsfreiheit berufen; wer eine Philosophin wieder auslädt, weil sie eine dunkle Hautfarbe hat oder jüdisch ist oder der Partei „Die Linke“ angehört, handelt ebenso illegitim; und wer Philosophen auslädt, weil sie Meinungen vertreten, die vielleicht kontrovers, aber jedenfalls durch die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gedeckt sind, macht nicht von Wissenschaftsfreiheit Gebrauch, sondern verletzt sie.
Anders als der Vorstand der GAP denkt, liegt es daher auch nicht einfach „im Ermessen der einladenden Hochschule, die Vortragseinladung auszusprechen und auch wieder zurückzunehmen". Oder etwas genauer: Es liegt zwar im Ermessen von Hochschulen und Professoren, aber dieses Ermessen kann radikal fehlschlagen. Und weil das so ist, ist es sehr wohl im radikalen Einzelfall (der akademischen Verbannung) die Aufgabe der GAP, die Gründe etwa für Ausladungen zu „evaluieren" und gegebenenfalls auch öffentlich zu kritisieren. Würde die GAP schweigen, wenn jemand aus sexistischen, rassistischen oder antisemitischen Gründen ausgeladen würde? Ich kann es mir nicht vorstellen, und wenn doch, dann wäre eben dieses Schweigen kritikwürdig.
Leider ist die Wahrheit vermutlich noch ganz anders gelagert. Es wird Kräfte geben in den Vorständen der GAP und wohl auch der DGPhil, die durchaus die Ausladung Ostritschs kritisch sehen. Aber es gibt offenkundig auch jene, und zwar wohl leider mehrheitlich, die nicht nur betreten oder konfliktscheu wegschauen, sondern die es klammheimlich gut finden und vielleicht sogar gutheißen, wenn Menschen gecancelt werden, deren weltanschauliche oder politische Einstellung ihnen nicht passt. Der Bart ist ab.
Dieter Schönecker ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen und Sprecher der Fachgruppe Philosophie des von ihm mitgegründeten „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“.






