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Ein „neuer Gott“ mit Grenzen

Das Verhältnis von Kultur und Künstlicher Intelligenz wird im Feuilleton der „Tagespost“ behandelt – was sagen Denker und Künstler?
Diskussion um Künstliche Intelligenz
Foto: IMAGO/Piero Nigro (www.imago-images.de) | "KI kann sich nur mit den Daten der Vergangenheit füttern, das heißt mit Informationen, die von Menschen stammen, die gelebt haben oder leben", betont der polnische Komponist und Jazzpianist Leszek Możdżer.

Der Kulturjournalist Björn Hayer lobt den französischen Denker Jean Baudrillard (1929–2007), der die Herausforderungen der Gegenwart vorausgesehen habe: „Auch wenn seine Haupttexte ,Simulacra & Simulation‘ (1981) und ,Agonie des Realen‘ (1978) noch nichts von ChatGPT oder gar täuschend echt gefakten Kunstbildern und Popsongs wussten, erklärten sie früh das diesen Techniken zugrunde liegende System“, so Hayer.

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Was von Baudrillard umschrieben werde, lasse sich „als Prozess beschreiben, in dem die künstliche Nachbildung der Wirklichkeit, etwa in der Ausprägung virtueller Realitäten, allmählich die eigentliche Wirklichkeit ersetzt. Vollkommen wir dieser Akt, wenn wir beide Räume nicht mehr voneinander unterscheiden können. Wenn wir fragen: Trägt das Lied noch ein menschlicher Interpret vor? Stammt ein Text noch von einem Schriftsteller oder schon von einem genialen Schreibprogramm?“ Originalität erweise sich in einer solchen Epoche bald schon als kaum noch zu identifizierendes Gut.

Keine Angst vor KI, auch wenn sie als neuer Gott propagiert wird

Auch der polnische Komponist und Jazzpianist Leszek Możdżer (52), der im Juni sein neues Album „Composites” veröffentlicht, denkt über Künstliche Intelligenz nach. Im Interview mit dieser Zeitung sagt er: „Der Unterschied zwischen KI und einem echten Komponisten besteht darin, dass KI Entscheidungen auf der Grundlage der Vergangenheit trifft, während ein Komponist Entscheidungen trifft, die in der Zukunft liegen. Der menschliche Geist hat Zugang zu Intuition und Inspiration, während die künstliche Intelligenz die Daten der Vergangenheit analysiert, Teile herauspickt und sie miteinander verbindet. Ein Komponist ist offen für metaphysische, subtile Einflüsse, während die KI lediglich auf Informationen basiert, mit denen sie gefüttert wird. KI macht, dass Dinge geschehen, ein Komponist lässt sie geschehen.“

Weiter ist Możdżer überzeugt: „KI kann sich nur mit den Daten der Vergangenheit füttern, das heißt mit Informationen, die von Menschen stammen, die gelebt haben oder leben. Sie basiert auf dem, was bereits existiert. Sie kann sich die Zukunft nicht vorstellen. Der menschliche Verstand dagegen kann sich Dinge vorstellen, die es noch nie gegeben hat. Das ist der gottähnliche Charakter der Menschheit. Deshalb habe ich keine Angst vor KI, auch wenn sie jetzt als neuer Gott propagiert wird. Intelligenz und Weisheit sind zwei völlig verschiedene Dinge.“  DT/mee

Künstliche Intelligenz und Kultur. Lesen Sie das ganze Interview mit Leszek Możdżer und die Kolumne von Björn Hayer in der Ausgabe der „Tagespost“ vom 27. April.

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