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Joseph Bonnemain: Ein spaltender Brückenbauer

Champagnerlaune und Untergangsstimmung: Der neue Churer Bischof weckt gegensätzliche Gefühle.
Churer Bischof Joseph Bonnemain
Foto: Manuela Matt/KNA | An ihm scheiden sich die Geister: Joseph Bonnemain ist neuer Bischof von Chur. Für die konservativen Katholiken ist die Wahl eine Enttäuschung.

Die Gemütslage im Bistum Chur wenige Tage nach der Bekanntgabe der Ernennung des neuen Bischofs am Montag lässt tief blicken. Pfarrer des Deutschschweizer Bistums posten da auf ihrem Facebook-Auftritt Champagnerflaschen und lassen virtuell die Korken knallen. Laienvertreter winden verbale Willkommensgirlanden – Hoffnungszeichen! Brückenbauer!. Der Chef des Portals „kath.ch“ dankt dem Papst überschwänglich für die Ernennung des „Superman“. In Chur, steht da ironiefrei, brächen jetzt die Goldenen Zwanziger an. Auf der anderen Seite herrscht Untergangsstimmung. Das Bistum, über Jahre Bastion des Widerstands gegen den Mainstream im ultraliberalen Deutschschweizer Katholizismus, sei gefallen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Dabei liegt die Personalie Joseph Bonnemain zunächst quer zu gängigen Deutungsmustern.

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Bonnemain als „größte Priesterenttäuschung" bezeichnet

Der 72-jährige Kirchenrechtler ist Priester des Opus Dei, einer Personalprälatur, die gemeinhin nicht für ihren innerkirchlichen Progressismus bekannt ist. Dennoch gilt der von Papst Franziskus direkt ernannte Bischof den Anhängern der von den Vorgängerbischöfen Haas und Huonder verfolgten Linie als Gottstehunsbei, während das progressive Lager jubelt. Wie kommt das?

Zur Erinnerung: In einem aufsehenerregenden Schritt hatte das zur Bischofswahl berechtigte Domkapitel Ende November vergangenen Jahres mit knapper Mehrheit die Dreierliste aus Rom als unannehmbar zurückgewiesen – und damit erstmals auf sein seit dem 15. Jahrhundert verbrieftes Wahlrecht verzichtet. Von einer feindlichen Übernahme des Bistums Chur durch die vom Vatikan vorgelegten Kandidaten war die Rede. Eine beispiellose Schlammschlacht folgte. Kath.ch veröffentlichte das eigentlich unter strengstem Päpstlichem Geheimnis stehende Protokoll der Sitzung im Wortlaut. Die Affäre ging als #DomkapitelLeaks in die jüngsten Annalen der bewegten Bistumsgeschichte ein. Ausweislich des nie bestrittenen Protokolls bezeichnete dabei ein Domherr Bonnemain als „größte Priesterenttäuschung“ seines Lebens.

Domkapitel erhält den Kandidaten, den es am meisten fürchtete

Genau diesen Mann hat Papst Franziskus nun ernannt – und damit anders, als von manchen Beobachtern vermutet, keinen Kompromisskandidaten gesucht, sondern ein Machtwort gesprochen. Das Domkapitel erhält damit den Kandidaten, den es mehrheitlich am meisten fürchtete. Von einer Demütigung der Konservativen ist die Rede. Die beiden Ordensmänner auf der Liste, ein Benediktinerabt und der Obere des Zisterzienserordens, seien nur platziert worden, weil sie mangels Bekanntheit ohnehin unwählbar gewesen seien, meinen Kritiker des neuen Bischofs. Bonnemain sei offensichtlich von vornherein der Favorit der römischen Liste gewesen. Doch wer ist der Mann, der von den einen als Brückenbauer gepriesen wird, andere aber offenbar wie kein anderer menschlich enttäuscht hat?

Unbekannter ist Bonnemain keiner. Er ist seit Jahrzehnten Teil der Bistumsleitung, war enger Vertrauter des konservativen Bischofs Haas. Als Offizial ist er Oberster Kirchenrichter der Diözese und gehört auch dem Domkapitel an. Im Auftrag des Bischofs hält er Kontakt zu den landeskirchlichen Körperschaften, jener „duales System“ genannter Schweizer Spezialität von vom Staat errichteten Strukturen mit Finanzhoheit. Diese waren lange Jahre unproblematisch, als brave, lehramtstreue Katholiken in ihnen dienten. Doch bald nach dem Konzil verselbstständigten sich die Strukturen, wurden sie zum finanzstarken Widerlager, kam es zum Richtungsstreit. In Chur, wo Rom anders als in Basel und Sankt Gallen immerhin Kandidaten vorschlagen und damit Richtungssignale geben kann, kam es unter den Bischöfen Haas und Huonder zum zähen Widerstand seitens der Bistumsleitung gegen die Laiengremien.

180 Grad Wende in Bezug auf die landeskirchlichen Körperschaften

Huonder etwa hatte im Gespräch mit dieser Zeitung kurz vor seinem Ausscheiden 2019 von den landeskirchlichen Körperschaften als einer „vom Staat geschaffenen Paraorganisation zur Kirche“ gesprochen. „Wir haben tatsächlich ein innerkirchliches Schisma der divergierenden Richtungen: Die Kirche tritt für den ganzen Glauben ein, die Körperschaften fühlen sich zwecks Erhalts ihrer Privilegien dem gesellschaftlichen Mainstream verpflichtet und bekämpfen Glaubensinhalte, die heute schlecht ankommen. Das ist der Interessenkonflikt.“ Bonnemain klang 1994 ähnlich. Damals nannte er die landeskirchlichen Strukturen in Anspielung auf die arg in die kirchliche Autonomie eingreifende Politik des Habsburgerkaisers Joseph I. „demokratischen Volks-Josephinismus“, gar eine „Oligarchie des staatskirchlichen Apparates“. Drei Jahre später bezeichnete er das Schweizer System als „Fehlkonstruktion“. Dem Staat gehe es nicht um Partnerschaft. Die Kirche solle vielmehr in ein enges Korsett gepresst werden.

Einige Jahre später aber, 2011, nannte Bonnemain das System dann einen der Lungenflügel, mit dem die Schweizer Kirche atme. „Aufgrund des schweizerischen dualen Systems bedarf unser Bistum sozusagen der koordinierten Funktion beider Lungenflügel, der kirchlichen Leitung einerseits und der staatskirchenrechtlichen Organisation andererseits.“ Innerkirchliche Gegner haben Bonnemain den Kurswechsel nie verziehen. Zum Konflikt in der Sache kommt also menschliche Enttäuschung hinzu.

Ein konservativer Aderlass in der Bischofskurie steht bevor

Ob ihn nun Opportunismus, Mühen um Konzilianz oder bessere Einsicht motiviert haben: Der Brückenbauer spaltet, noch ehe er zum Bischof geweiht ist. Ein konservativer Aderlass in der Bischofskurie steht wahrscheinlich bevor. Dass Bonnemain Mitarbeiter der Ära Huonder im Amt belässt, ist unwahrscheinlich. Das um den richtigen Kurs der Kirche ringende Bistum wird indes nicht zur Ruhe kommen. Diesmal sind die Konservativen unterlegen. Spätestens mit Bonnemains 75. Geburtstag in drei Jahren, wenn er dem Papst seinen Rücktritt anbieten muss, wird das ewige Ringen in Chur von neuem beginnen.

 

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