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Entsakralisierung von Notre-Dame?

Ein bekannter Mittelalter-Experte ruft in einer katholischen Zeitung dazu auf, die Kathedrale Notre-Dame zu entsakralisieren und zu einem Museum zu machen. Der Vorschlag bleibt nicht unwidersprochen.
Die Zukunft von Notre-Dame
Foto: Julia Naue (dpa) | Die gleichzeitige Anwesenheit von Touristenscharen und gläubigen Betern in der Kathedrale Notre-Dame sei letzteren einfach nicht zuzumuten, so der Mittelalter-Experte Michel Pastoureau.

Michel Pastoureau ist ein renommierter französischer Historiker. Sein Spezialgebiet ist die Symbolik des Abendlandes. Er verfasste unter anderem bemerkenswerte Werke über die Geschichte symbolischer Sinngehalte von Farben, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. Man sollte meinen, eine derart tiefgeistige Profession sollte geradezu dazu prädestinieren, Wert und Bedeutung religiöser Kultstätten in besonderem Maße wahrzunehmen und sich – wo diese bedroht sind –für ihren Erhalt einzusetzen.

Notre-Dame in ein Museum umwandeln?

Umso verwunderlicher ist, dass die katholische Tageszeitung "La Croix" einen Aufruf von ihm publiziert, in dem der Mediävist für die Entsakralisierung von Notre-Dame und deren Nutzung als Museum plädiert. Sein Argument: Die gleichzeitige Anwesenheit von Touristenscharen und gläubigen Betern in der Kathedrale sei letzteren einfach nicht zuzumuten. Daher müsse man sich, so Pastoureau, für folgende Lösung entscheiden: „Nicht die Touristen zu verjagen, sondern die Gläubigen hinauszuwerfen. Um dies zu tun, müsste man Notre-Dame entsakralisieren und sie in ein Museum umwandeln, wie das bereits in einigen Nachbarländern geschehen ist – alles protestantische Länder, das stimmt schon (Vereinigtes Königreich, Niederlande, Norwegen). Aber als Historiker und Christ, und darüber hinaus als Katholik, gebe ich zu, dass mich eine derartige Maßnahme nicht übermäßig schockieren würde“.

Doch gegen diesen Vorschlag regt sich Widerstand. So zeigt sich der Kolumnist von Valeurs actuelles, Père Danziec, entsetzt ob des „unglaublichen Aufrufs“ in „La Croix“. Dieser „überschreitet in punkto Seltsamkeit sämtliche Grenzen“, schreibt der Priester. „Völlig entspannt“ deute Pastoureau da eine Lösung „des geringsten Übels“ an, wenn er fragt: „Wer kann an diesem Ort zum Beten kommen oder sich einfach nur sammeln, wo die Scharen von Touristen den ganzen Tag lang herumlaufen und nicht immer weder die Barrieren, die sie von den Gläubigen trennen, noch die Gottesdienstzeiten beachten?“ Doch „unter dem Vorwand einer unsäglichen gleichzeitigen Anwesenheit von Touristen und Gläubigen in Notre-Dame schlägt der Historiker nicht mehr und nicht weniger vor“, kommentiert Père Danziec, „das Gebäude zu entsakralisieren und die Kathedrale in ein Museum umzuwandeln“.

Die Seele und die Steine bewahren

Der Pariser Generalvikar, zudem Domdekan von Notre-Dame, Patrick Chauvet, ist Leiter der Kathedralenbaustelle. In der „ergreifenden Dokumentation ‚Sauver Notre-Dame‘“ für den Sender France 2, so Danziec, habe der Prälat seinen mühsamen Kampf zur Verteidigung der spirituellen Dimension seiner Kathedrale, was er als das „Mysterium Notre-Dame“ bezeichne, angesprochen. Chauvet sagte in der Fernsehsendung: „Es gibt die Handwerker der compagnons du devoir [Handwerker, die in Frankreich kulturhistorische Gebäude restaurieren], die die Steine bewahren, ich aber muss die Seele bewahren“.
Danziec resümiert: „Dieses mühsame Ringen, um daran zu erinnern, dass Notre-Dame zuallererst eine Kultstätte ist, erweist sich als entscheidend. Diese eindeutige Zielsetzung ergibt sich in erster Linie nicht aus einer pädagogischen Dringlichkeit. Es handelt sich dabei vor allen Dingen um ein kulturelles Erfordernis. Der Unterschied zwischen beidem ist groß - er ist wohl so groß wie ein Eckstein“.

DT/ks

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