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Sprachfähig über „Gender“-Fragen

Eine „Gender“-Enzyklika ist überfällig, um mehr Klarheit in Kirche und Gesellschaft zu schaffen.
Johannes Paul II. hatte bei seiner "Theologie des Leibes" vermutlich noch nicht an Transgender gedacht
Foto: imago stock&people | Hatte bei seiner "Theologie des Leibes" vermutlich noch nicht an Transgender gedacht: Papst Johannes Paul II.

Der niederländische Kardinal Willem Jacobus Eijk hat vor kurzem eine Gender-Enzyklika gefordert. Kein Wunder: Das Wort „Gender“ ist überall. Auch in der Kirche im Diskurs um den Synodalen Weg fällt es immer wieder. Schon allein das wäre ein guter Anlass für eine solche Enzyklika, und es ist bei weitem nicht der einzige: „Gender“-Kontroversen sind in der westlichen Kirche schon fast wie Regen in England: Täglich zu erwarten und trotzdem zu beklagen. Trotzdem sollte diese Enzyklika den Begriff „Gender“ ernst nehmen.

Es ist weithin bekannt, was viele, auch manche Katholiken, heute behaupten: Dass „Gender“ ein Spektrum ist. Daraus ziehen sie Schlussfolgerungen, die mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar sind. Sie propagieren zum Beispiel medizinische Angleichungen ans andere Geschlecht oder leugnen die Bedeutung des biologischen Geschlechts für das Priestertum. Natürlich muss sind dagegen theologische oder moralische Einwände erheben. Aus dem Vatikan fehlte bislang ein Dokument, auf das man sich eindeutig berufen kann, um die Position der Kirche theologisch umfassend zu erklären.
Für das öffentliche Leben könnte eine solche Enzyklika vonseiten der katholischen Kirche eine klärende Rolle einnehmen. Orientierung ist gefragt. Zu „Gender“-Themen in Kirche und Gesellschaft äußern sich oft Bischöfe auf der einen oder anderen Seite des kirchlichen Lagers widersprüchlich – das ist nicht nur für Gläubige verwirrend. Als repräsentative Instanz wäre ein solches Dokument wegweisend. Denn es gibt eine echte gesellschaftliche Notwendigkeit für Erklärungen. Lehrerinnen und Lehrer brauchen etwas an die Hand, um ihr Gewissen für den Unterricht zu schulen. Auch die Justiz könnte für praktische Fragestellungen von der Kirche lernen.

Vereinnahmung vermeiden

Nicht zuletzt brauchen Seelsorger Richtlinien für den Umgang mit Menschen, die sich in ihrem biologischen Geschlecht nicht wohlfühlen. Auch muss die Kirche, wie der Diskurs um den Synodalen Weg in Deutschland schon jetzt andeutet, irgendwann ihre Haltung verteidigen, dass das biologische Geschlecht in ihren Strukturen eine Rolle spielt. Mit der „Theologie des Leibes“ hat die Kirche bereits ein wirkungsvolles Lehrinstrument. Sie macht die Relevanz des biologischen Geschlechtes plausibel, ohne die Individualität der Person zu untergraben. Oft ist sie aber, gerade in Deutschland, in der Mehrheit der Katholiken unbekannt. Diesen Mangel könnte eine „Gender“-Enzyklika ausgleichen.

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Hinzu kommt eine Desorientierung unter jungen Menschen, wie man an den steigenden Zahlen von Mädchen, die sich als „transgender“ identifizieren, beobachten kann: Geschlechtsstereotype und -beliebigkeit stehen mit zerstörerischer Wirkung nebeneinander. Der Begriff „Gender“ stellt heute die berechtigte Frage, wie die Entfaltung der Persönlichkeit und sozialen Beziehungen mit dem gegebenen biologischen Geschlecht zusammenhängt. Neben notwendiger Kritik an der „Gender“-Ideologie sollte eine Gender-Enzyklika diese Frage ernst nehmen. Der Kampf gegen die „Gender“-Ideologie droht außerdem nicht selten von einer radikalen Seite vereinnahmt zu werden. Dabei geht es oft mehr um die politische Abgrenzung von sozialliberalen Ideen als um Christusnachfolge. Die Kirche kann hier die Lösung bieten, wenn sie sich eben nicht einfach nur abgrenzen will, indem sie Frage meidet, sondern eine Antwort bietet. Eine Enzyklika könnte hier Abhilfe schaffen und Katholiken im gesellschaftlichen Diskurs sprachfähig machen.

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