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Uns geht es um positive Impulse

Ein Interview mit Christa Leonhard, Mitgründerin und Vorstandsmitglied der "Stiftung für Familienwerte", über Motive, Ziele und Hintergründe der Initiative.
Familie ist eine verantwortungsvolle Herausforderung
Foto: SydaProductions | Familie ist eine verantwortungsvolle Herausforderung, schenkt aber auch „die größte Zufriedenheit“.

Frau Leonhard, Sie sind schon seit vielen Jahren mit der „Stiftung für Familienwerte“ in Deutschland aktiv. Aktuell beschäftigen Sie sich in besonderem Maße mit dem Thema „frühkindliche Bindung“. Warum liegt Ihnen das so sehr am Herzen?

Die Entwicklungspsychologie von Baby und Kleinkind hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht. Besonders die Forschungsergebnisse bei Trennung sind hervorzuheben. Die Trennung eines Babys und Kleinkindes bis circa 33 Monate von der Mutter oder seiner engsten Bindungsperson versetzt das Kind in einen Zustand existenzieller Angst. In seiner vollkommenen Unselbstständigkeit muss es davon ausgehen, dass es umkommen wird. Diese unglaubliche Angst erlebt ein Kind täglich, wenn es morgens um sieben Uhr in die Krippe gebracht und erst nachmittags – oft also nach circa zehn Stunden – wieder geholt wird. Sie zerrüttet seine Nerven. Das ist bei vielen Menschen bis in die Pubertät am Cortisolspiegel messbar und bleibt eine lebenslange Schwächung. Depressionen oder Burnout können hier ihre Wurzeln haben. Vorbeugung oder Heilung wird durch enge Bindung gewährleistet. Diese entsteht durch das vertraute Miteinander zwischen Kind und Eltern oder Betreuungsperson. Dann sprudeln die Synapsen! Die einmaligen Zeitfenster im sich entwickelnden Gehirn des Kindes – 400 Gramm bei der Geburt, 900 Gramm am Ende des ersten Lebensjahres – werden genutzt und erweitern laufend seinen Horizont! Auch dies ist in der Krippe kaum möglich. Zu viele verschiedene Aufgaben lasten auf den Betreuerinnen, die sich dieses Mankos oft bewusst sind und darunter leiden. Sie erkennen, wie heikel eine Fremdbetreuung für das einzelne Kind ist. In Jahrtausenden ist durch harte Auswahl gewachsen, was auch heute noch gilt: Das Kind muss eng gebunden sein, um sich optimal zu entwickeln. Aufklärung zu diesem Thema halte ich für essenziell. Hierfür setze ich mich ein.

Sie sind der Meinung, dass fehlende Bindung bei Säuglingen und Kindern unserer Gesellschaft schadet. Können Sie das genauer beschreiben?

Die Besorgnis, dass wir immer mehr Mitbürger unter uns haben werden, die zwar hier aufwuchsen, aber unsere Kultur nicht mitbekamen, weil sie ohne den natürlichen, engen Kontakt zur Mutter oder der immer gleichen Betreuungsperson großgezogen wurden, macht mich traurig. Vielleicht wird das Volk von Denkern und Erfindern, wie man Deutschland gern bezeichnete, und auch das, was den Menschen seinem Mitmenschen sympathisch macht, immer weniger sichtbar und fühlbar sein. Jede folgende Generation wird weniger davon mitbekommen und dann verschwindet vielleicht auch die Mütter- und Väterlichkeit, denn was ich nicht erlebe, kann ich nicht verinnerlichen! Beschränken sich die Begegnungen mit den Eltern auf einen Bruchteil des Tages, wird die Möglichkeit zu einer tiefen Bindung, über die auch der Transfer von Kultur stattfindet, stark reduziert. Wie soll das Kind dann all das aufnehmen, was andere in jahrelanger Erziehung verinnerlichten. Wie die ungezählten kleinen guten Wörtchen und Liebkosungen nachholen? Ebenso, wie wir das Aussterben von Tierarten betrauern, müsste uns dieses Erlöschen unserer eigenen Kultur bedrücken. Schlimmer aber ist der innere Zustand vieler dieser Menschen. Woher soll Herzensbildung kommen? Woher Achtung oder Empathie und Liebe? Haben sie sie doch kaum erlebt, weil die Bindung wegfiel, weil das Gehirn und seine emotionalen Zentren wegen der gehäuften inneren Stresssituationen nicht ausreifen konnten? Die Folgen sind kaum auszumalen: Rohheit, Hass, das Recht des Stärkeren? Unsere Gesellschaft könnte sich, schneller als wir ahnen, unglaublich verändern. Ein gesellschaftlicher Klimawandel! Es gilt, ihm zuvorzukommen.

Ist Ihr Informationsprojekt zur Situation von U3-Kindern nicht anachronistisch? Wenn man sich die Bilder von Familien anschaut, die in den Medien derzeit bestimmend sind...

Das moderne Leben ist hektisch. Gerade junge, lebenslustige Eltern, denen die heutige Welt so viel Abwechslung bietet, ziehen diese dem gleichbleibenden, ruhigeren Miteinander ohne viel Reize und Erlebnisse oft vor. Familie gedeiht besonders gut in einem ruhigen Klima. Durch Beobachtung erkennen die Eltern, was ihre Kinder an Überraschendem bieten. Das bedeutet Hinwendung, eigenes Hinführen, leises Einfühlen und macht Arbeit! Doch: das erste Lächeln und ein neues Zähnchen belohnen jede Mühe.

Darum will die Stiftung für Familienwerte über die oben beschriebenen, allzu leicht übersehenen Gefahren aufklären. Uns liegen das Wohl des Einzelnen und das Allgemeinwohl am Herzen. Das jetzige System hat sich gegen den Menschen entwickelt. Darum bringen wir Informationen, die zum Nachdenken anregen wollen. Es darf nicht so viel Kinderleid geben. Auch keine Schwächung unseres Volkes soll eintreten, weil seine Mitglieder, sowohl die Kinder als auch die Eltern, statt von dem immer wieder beschworenen Reichtum zu profitieren, diesen schon ab dem frühesten Alter mit ihrer Lebens- und Gesundheitsqualität erkaufen und bezahlen müssen. Das bestehende Arbeitssystem zu verändern, scheint unmöglich. Wir suchen und bieten deshalb auf unserer Website Anregungen zum Verbessern der Situation junger Mütter, die ihre Arbeit mit der Nähe zum Kind verbinden wollen. In Kenntnis um die Bedürfnisse des Kindes und für dessen Wohl, lohnt es sich, den Arbeitgeber zum Überlegen anzuregen und mit Gleichgesinnten Möglichkeiten gegenseitiger Entlastung zu suchen. Warum nicht mit Arbeitszeitprozenten spielen, die Vater und Mutter für eine längere Betreuungszeit einsetzen können. Vielleicht ist es möglich, früh, aber nur für wenige Stunden, im Betrieb einzuspringen und sich das auf die Elternzeit anrechnen zu lassen. Auf der Website „stiftung-familienwerte.de“ sammeln wir solche Ideen und bieten sie an. Uns geht es um positive Impulse, die gleichermaßen Kind, Eltern und Allgemeinheit zu ihrem Recht kommen lassen.

An Fantasie hat es noch nie gemangelt. Wir werden auch hier in kluger und offener Zusammenarbeit das Beste für den Einzelnen und für die Allgemeinheit erreichen.

Sie sind Großmutter – welchen Rat möchten Sie jungen Müttern und Vätern mit auf den Weg geben?

Partnerschaft und Familiengründung sind Schritte, von denen für jeden von euch, euren Kindern und auch deren Kindern sehr viel abhängt. Macht euch klar, dass es hier um echtes, lebenslanges Commitment geht und dass dies, gut gelebt, die größte Zufriedenheit schenkt. Gute Vorbereitung, zum Beispiel die Teilnahme an einem Ehevorbereitungskurs wie „Paarlife“ oder „Alpha“, hilft, so manche Klippe zu umsegeln, die zum Schiffbruch führen kann. Denkt an die Vorbereitung auf die ersten drei Jahre, die so wesentlich für das Leben eures Kindes sind und euch selbst so unendlich bereichern. Außerdem bin ich der Meinung, dass Eltern ein Recht darauf haben, ihr Kind nach bestem Wissen selbst zu erziehen.

Alles, was man liebt, muss gepflegt werden! Antoine de Saint-Exupéry lässt im „Kleinen Prinzen“ den Fuchs antworten: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. ... Du bist für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“

Von Karl-Heinz Bernhard van Lier

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