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Die Qualität der Interaktion ist entscheidend

Hohe Standards und individuelle Angebote: Erfahrungen der Betreuung von Kindern unter drei Jahren im Bistum Mainz.
Mom giving her baby a kiss
Foto: Adobe Stock | Die Anfangszeit in einer Einrichtung ist eine besonders sensible Phase für Eltern und Kind.

Im Bistum Mainz haben wir langjährige Erfahrung in der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Rund 14 000 Kinder, überwiegend ab dem zweiten Lebensjahr, besuchen unsere 207 Kindertageseinrichtungen und Familienzentren.

In unseren „Pastoralen Richtlinien Nr. 12“ [1] beschreiben wir ihre familiären Lebenswelten als sehr unterschiedlich. Sie unterscheiden sich in den verfügbaren materiellen Ressourcen, im Wohnumfeld und der Wohnsituation, in den Rollen und Erziehungsstilen, den Ernährungsgewohnheiten sowie im Medienkonsum. Auch wie Familien gemeinsam Zeit verbringen oder an kulturellen oder sportlichen Aktivitäten teilnehmen, ist höchst verschieden. Hinzu kommen veränderte Anforderungen durch die Gesellschaft und Arbeitswelt, die unter anderem mit sehr hohen Leistungserwartungen, beruflicher Flexibilität und Mobilität, größeren finanziellen Unsicherheiten bis hin zur Armut einhergehen. Entsprechend begegnet uns in unseren Kindertageseinrichtungen und Familienzentren eine Vielfalt an Familienformen und eine große Bandbreite an Bildung, kultureller und religiöser Sozialisation, Werteorientierung und wirtschaftlichem Status. Diese Vielfalt möchten wir auch in unseren Angeboten für Kinder, Eltern und Familien abbilden.

Es ist uns ein großes Anliegen, zu dem wir im Übrigen auch gesetzlich verpflichtet sind [2], gemeinsam mit den Familien den Start in unseren Kindertageseinrichtungen und Familienzentren so gelingend wie möglich zu gestalten. Dies gelingt uns, indem wir mit ihnen ins Gespräch gehen, uns für ihre Biographie, ihr Lebensumfeld, ihre Wünsche, Interessen und Sorgen interessieren und ihnen auch die Gelegenheit geben, unser Verständnis von Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern kennenzulernen und mit dem ihrigen abzugleichen. Wenn Familien sich für eine Aufnahme in unseren Einrichtungen entscheiden, gestalten wir mit ihnen gemeinsam die Eingewöhnung [3] ihres Kindes. In dieser sehr sensiblen Phase sichern wir den Kindern ein Höchstmaß an Verlässlichkeit und Kontinuität zu und stellen ein Angebot zur Verfügung, das auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. In dieser Zeit der Eingewöhnung wird die Familie durch eine pädagogische Fachkraft begleitet, die dem Kind und seinen Eltern ein präsenter Ansprechpartner ist.

Die Forschungsergebnisse von Lieselotte Ahnert 2007 [4] weisen darauf hin, dass neben den Eltern auch Tagespflegepersonen und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen eine nicht zu unterschätzende Rolle für Kinder spielen und dass Kinder durch zusätzliche Bindungsangebote profitieren können. Die Wissenschaftlerin beschreibt auch, dass Tagespflegepersonen und Fachkräfte eine große Ressource darstellen und sogar kompensatorische Wirkung haben können, wenn Eltern, aus welchen Gründen auch immer, keine signifikante Bindung zu ihren Kindern aufbauen konnten. Ahnert erläutert, dass für eine gute Entwicklung des Kindes die Qualität der Interaktion entscheidend ist und benennt fünf Merkmale von signifikanter Bedeutung: emotionale Zuwendung, Sicherheit, Stressreduktion, Explorationsunterstützung und Assistenz. Anhand dieser Merkmale möchten wir Kindern und ihren Familien Angebote machen. Hier sehen wir uns in einer gesellschaftlichen Verpflichtung und wollen unterstützend auch gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit wirken.

Dabei sehen wir uns den Standards verpflichtet, wie sie im „Bundesrahmenhandbuch für Katholische Tageseinrichtungen für Kinder“ [5] und unserem „Bistumssiegel“ [6] beschrieben sind. Unseren hohen Anspruch an die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit der Wirklichkeit, die uns im Alltag begegnet, in Einklang zu bringen, gelingt nur durch den sehr hohen persönlichen Anteil unserer Mitarbeitenden in den Kindertageseinrichtungen und Familienzentren. Hier möchte ich auch auf die aktuelle DKLK-Studie (2019) [7] unter wissenschaftlicher Begleitung von Professor Haderlein verweisen und auf die dort benannten Forderungen unter anderem nach

– mehr Anerkennung der Leistungen aller frühpädagogischen Fach- und Führungskräfte

– einer verlässlichen und hinreichenden Finanzierung der Kindertageseinrichtungen in Verbindung mit einer Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation

– einer Gesamtstrategie zur Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes und zur Gewinnung von Nachwuchskräften.

An dieser Stelle braucht es eine stärkere Unterstützung seitens der Politik. Wir begrüßen die beiden aktuellen Initiativen der Bundesregierung – die „Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher“ und zum anderen das „Gute-Kita-Gesetz“ – wünschen uns darüber hinaus aber weitergehende Anstrengungen und nachhaltige Lösungen, die letztendlich allen Kindern, Familien und somit der Gesellschaft zugute kommen.

Von Nicola Adick


Zur Autorin:

Nicola Adick, Jahrgang 1969, ist Dezernentin für Caritas und Soziale Arbeit und Diözesancaritasdirektorin beim Bistum Mainz. Sie studierte Rechtswissenschaften in Mannheim und London. Während des Studiums arbeitete sie fünf Jahre lang in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen. Ihr Referendariat absolvierte sie am Landgericht Mannheim. Ab 1999 war sie für acht Jahre Rechtsassessorin bei einem größeren Altenhilfeträger der Diakonie Württemberg. 2007 wechselte sie als Referentin für Sozialrecht zum Diözesancaritasverband in Mainz. Im Jahr 2010 übernahm sie dort die Leitung des Fachbereichs „Existenzsicherung und Sozialrecht". Adick ist verheiratet und hat drei Kinder.


[1] Vielfalt und Qualität. Erfahrungen mit der Betreuung von Kindern unter drei Jahren im Bistum Mainz, Pastorale Richtlinien Nr. 12 (2016). Katholische Kindertageseinrichtungen und Familienzentren im Bistum Mainz, Seite 20.

[2] Rheinland-Pfalz: Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz plus Qualitätsempfehlungen; Hessen: Hessischer Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0–10 Jahren.

[3] Laewen H.-J., Andres B., Hédervári É. (2011). Die ersten Tage – Ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege. Berlin: Cornelsen.

[4] Ahnert L. (2009). Bindungsentwicklung im Spannungsfeld von Familie und öffentlicher Betreuung. In: Brisch, K.-H. & Hellbrügge, T. (Hrsg.), Wege zur sicheren Bindung in Familien und Gesellschaft. Prävention, Begleitung, Beratung und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.

[5] Bundesrahmenhandbuch Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder. Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) – Bundesverband e. V. Freiburg, 2019.

[6] Bistumssiegel „Katholisches Familienzentrum im Bistum Mainz“. Caritasverband für die Diözese Mainz, 2015.

[7] Deutscher Kitaleitungskongress (DKLK)- Studie 2019. Befragung zur Wertschätzung und Anerkennung von Kita-Leitungen, Wolters Kluwer, Köln 2019.

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