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Renovatio-Institut für kulturelle Resilienz: Es geht um die Seele Europas

Das „Renovatio-Institut für kulturelle Resilienz“ stellt sich den Herausforderungen Europas auf der Grundlage der christlichen Soziallehre.
Das Rolandslied ist identitätsstiftend für das Bild des Helden in der europäischen Literatur.
Foto: Imago Images | Karl der Große entdeckt den Leichnam Rolands nach der Schlacht von Roncevaux: Das Rolandslied ist identitätsstiftend für das Bild des Helden in der europäischen Literatur.

Können das Christentum und die Kirche etwas zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen? Diese Frage wird immer häufiger aufgeworfen – und nicht selten bedauernd oder sogar begrüßend verneint. Gedacht ist damit zumeist nicht an die Bekämpfung der Pandemie, sondern ihrer politischen und gesellschaftlichen Folgen, die bereits zuvor feststellbare Entwicklungen rasant beschleunigen. Doch die theologischen Sozialethiker verzichten zumeist auf genuin theologische Antworten und die klassischen Positionen der naturrechtlich fundierten Soziallehre erfahren auch in der Kirche immer geringere Rezeption.

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In der Tradition der Bekenntnisökumene

Um dem Abhilfe zu schaffen und Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit aus christlicher Perspektive zu entwickeln, hat sich auf Initiative des Politikwissenschaftlers Simon Wunder 2019 das „Renovatio-Institut für kulturelle Resilienz“ gegründet. Gemeinsame Grundlage der Gruppe, die sich in der Tradition der Bekenntnisökumene sieht, ist die Identifikation mit dem christlich-abendländischen Erbe Europas – und die geteilte Wahrnehmung, dass Europa als christlich geprägtes Gemeinwesen vor einer Krise steht, auf die weder die Kirche noch die Gesellschaft vorbereitet sind. Die Initiatoren sehen in wachsender Ungleichheit und Unsicherheit, Finanzkrisen und Massenmigration Symptome einer tieferliegenden Krise, die die herrschende linksliberale Ideologie infrage stellt, da sie innerhalb ihrer engen geistigen Grenzen die Gegenwart nicht begreifen könne, wie auch der Philosoph John Gray herausstellt: „Der Liberalismus kann die Herausforderungen der Gegenwart weder verstehen, noch sie bewältigen. Er ist daher intellektuell und politisch am Ende.“

Abendländisches Erbe

„Die Auseinandersetzung um die Seele Europas und die Fortsetzung des abendländischen Erbes sind das große Abenteuer unserer Zeit“, so Wunder gegenüber der „Tagespost“. Mit dem Jahr 2020 sei im gesamten europäischen Kulturraum ein verstärkter Generalangriff auf die politischen und kulturellen Grundlagen der europäischen Zivilisation sichtbar geworden, analysiert Wunder im Hinblick auf anarchistisch motivierte Gewalt in Nord- und Südamerika, Klimaproteste oder die Demonstrationen in Polen gegen das Verbot der Abtreibung. „Utopische materialistische Ideologien befinden sich auf dem Vormarsch und agieren zunehmend intolerant gegenüber jenen, die ihre Visionen nicht teilen oder auch nur die von ihnen verursachten Herausforderungen ansprechen.“ Gerade das Bildungswesen sei hiervon besonders betroffen, führt Wunder aus: „Diese Utopien haben mittlerweile auch an Universitäten beinahe hegemonialen Status erreicht und verhindern, dass von hier eine kulturelle Erneuerung ausgehen kann.“

Die Lage europäischer Gesellschaften

Hier will das Institut gegen halten und die verbliebenen geistigen Räume stärken, in denen eine Gemeinwohl orientierte Auseinandersetzung mit Fragen von Kultur und Gesellschaft stattfinden kann. Mit den wissenschaftlichen Beiräten David Engels (Althistoriker) und Heinz Theisen (Politikwissenschaftler) verfügt das Institut über die notwendige wissenschaftliche Expertise.

Konkret befasst sich das Institut mit der Analyse der Lage europäischer Gesellschaften mit Schwerpunkt auf den Bereichen Religion, Politik und Kultur, wobei auf die Aspekte von Integration, Demographie und innere Sicherheit besonderer Wert gelegt wird. Vom christlichen Erbe Europas ausgehend, sollen Ansätze entwickelt werden, die zur Stärkung der kulturellen Resilienz europäischer Gesellschaften beitragen.

Problematischer Populismus

Dabei zeigt Wunder auf, dass die vorherrschende Reaktion auf die Angriffe auf das Christentum in Europa nicht das Eintreten für das abendländische Erbe sei, sondern ein problematischer Populismus, der sich vom kulturellen und religiösen Erbe oft ebenso entfremdet hat wie die linksliberale Gegenseite: „Man beschränkt sich auf die bloße Verneinung dieser nicht tiefer verstandenen Phänomene und Tendenzen.“

Aufgrund des ideologisch aufgeladenen Klimas sei auch in der Kirche die Tendenz zu beobachten, vor der Auseinandersetzung zurückzuschrecken: „Dadurch überlässt man das Feld jedoch den radikalen Kräften aller Lager und verweigert den Menschen einen wichtigen Dienst“, so Wunder. Aufgabe des Instituts sei es somit, Christen die Verantwortung aufzuzeigen, die ihnen in der gegenwärtigen Lage zuwächst: „Wille zur Kontinuität und die Bereitschaft, Konflikten nicht auszuweichen, sondern sich ihnen zu stellen, sind dafür unerlässlich.“ Man müsse vom Ernstfall her denken und auch die Möglichkeit krisenhafter Verläufe des Geschehens stets in Erwägung ziehen.

Globalismus als Gefahr

Eine wesentliche Gefahr für das christliche Erbe Europas sehen die Initiatoren in der Ideologie des „Globalismus“, der sich aus Elementen des Neoliberalismus und des Neomarxismus zusammensetze. Damit beruft sich Wunder auf die Soziologin Cornelia Koppetsch, die den Globalismus als im Kern transnationalen Kapitalismus definiert, der die Aufweichung von Grenzen auf allen Gebieten des Lebens sowie die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und „Grenzaufweichungen und Mobilitätsprozesse zwischen allen Identitäten“ fordere. Diese Ideologie sei Teil des modernen Strebens nach „Herauslösung des Einzelnen aus Kollektivbindungen und Traditionen“.

Ziel dieser Ideologie sei die Schaffung einer homogenen Menschheitsgemeinschaft, in der Hemmnisse für wirtschaftliche Effizienz minimiert sind und mit dem Wegfall kultureller Unterschiede jegliche Diskriminierung unmöglich wird. Die globale Unterstützung von Feminismus, Antirassismus und Multikulturalismus sowie LGTB-Aktivismus durch transnationale Organisationen erkläre sich dadurch, dass sich diese linksliberalen Werte zum globalen Kapitalismus „wie ein Schlüssel zum Schloss“ (Koppetsch) verhielten. Dass dieses materialistische Welt- und Menschenbild dem Christentum diametral widerspricht und die christlichen Wurzeln europäischer Gesellschaften bekämpft, werde auch offen zugegeben, so Wunder. So begrüße etwa der Politikwissenschaftler Yascha Mounk, dass sich die „monoreligiöse“ Identität Westeuropas durch Migration auflöse.

Soziallehre neu Positionieren

Gegen diese ideologischen Angriffe auf das Christentum möchte Renovatio die Soziallehre in aktuellen Debatten neu in Stellung bringen. In der ersten Publikation setzte sich das Institut mit „Ganzheitlicher Ökologie und Nachhaltigkeit: Prinzipien christlicher Weltanschauung“ auseinander, in dem der Unterschied zwischen dem Ökologie- und Nachhaltigkeitsverständnis christlicher Weltanschauung und den entsprechenden Konzepten moderner und postmoderner utopischer Ideologien herausgearbeitet wurde. Dabei grenzen die Autoren das Prinzip Nachhaltigkeit als ein ganzheitliches, gemeinwohlorientiertes Handlungsprinzip, das einen schonenden Umgang mit den materiellen und immateriellen Ressourcen sicherstellen soll, von einem ideologischen Verständnis ab, das ersatzreligiöse, totalitäre Tendenzen aufnehme oder einem neomarxistischen Denken entspringe.

Ursache dieser Ideologisierung sehen die Initiatoren in einem Phänomen, das Romano Guardini als materialistische „nicht-kulturelle Kultur“ bezeichnet habe, die die Gegenwart kennzeichne. Diese „Kultur“ stelle einen radikalen Bruch mit dem dar, was in den Jahrhunderten zuvor unter Kultur verstanden worden sei, und dass sich dieses Phänomen zunehmend radikalisiere. Auch Eric Voegelin habe vor dieser Entwicklung gewarnt und sie als die neueste Erscheinung der Gnosis beschrieben, auf die alle utopischen materialistischen Ideologien zurückgingen. Verbindendes Element dieser Strömung sei eine innerweltliche Selbsterlösung des Menschen durch technischen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fortschritt, die Herstellung von Gleichheit und die Beseitigung der für irrational erklärten religiösen Restsubstanz der Kultur.

Wie im Irrenhaus

Die Gesellschaften des Westens seien von der „unheimlichen, geisterhaften Atmosphäre eines Irrenhauses“ geprägt und entwickelten sich zunehmend in Richtung eines Irrsinns, der sie von innen heraus zerstören werde. Daher zeigt sich Wunder angesichts des um sich greifenden Realitätsverlusts nicht verwundert: „Die liberalen Gesellschaften des Westens können daher die Ursachen und Wirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr verstehen. Auch die Sozialwissenschaften sind in Folge der Durchsetzung materialistischer Weltanschauung blind geworden, weil ohne transzendente Bezüge die Vorstellung eines Gemeinwohls hinfällig wird.“

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Simon Kajan

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