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ChatGPT schreibt bessere Reden als britische Spitzenpolitiker

Der Chatbot erkennt im Gegensatz zu Premier Sunak und Herausforderer Starmer ziemlich gut, was die Bevölkerung bewegt.
Britischer Premierminister Rishi Sunak
Foto: IMAGO/Tayfun Salci (www.imago-images.de) | ChatGPT hat nicht nur den typischen Tonfall eines künftigen englischen Premiers getroffen, sondern hat im Gegensatz zu Rishi Sunak (im Bild) und dessen Labour-Herausforderer Keir Starmer dem Volk anscheinend in ...

Dass die künstliche Intelligenz ChatGPT inzwischen einen hohen Anteil an Examensarbeiten schreibt und dabei, wie selbst Bill Gates zugibt, überraschend gute Ergebnisse erzielt, hat sich inzwischen herumgesprochen. Und auch wenn kundige IT-Experten zu Recht anmerken, dass in solchen Arbeiten oft mehr als 30 Prozent der angegebenen Quellen Fakes sind, muss man neidlos zugeben: Die künstliche Intelligenz hat es vielfach doch ziemlich drauf. Dies gilt insbesondere für die neue Version des Chatbots, die mit einer 99 prozentigen Trefferquote kaum noch beim Schummeln erwischt werden kann und deren angefragte Inhalte punktgenau die Bedürfnisse des Auftraggebers erfüllen.

Die „Times“ wagte ein Experiment

Das Gleiche gilt für das Schreiben von Reden, wie die „Times“ in einem Versuch kürzlich eindrucksvoll vorgeführt hat. Die englische Tageszeitung gab dem Chatbot den Auftrag, die Antrittsrede des neuen englischen Premierministers zu verfassen. Das Ergebnis wirkt ziemlich überzeugend und enthält sogar ein paar Überraschungen: Denn ChatGPT hat nicht nur den typischen Tonfall eines künftigen englischen Premiers getroffen, sondern hat im Gegensatz zu Rishi Sunak und dessen Labour-Herausforderer Keir Starmer dem Volk anscheinend in puncto Themenfindung auch „aufs Maul geschaut“. 

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Heraus kam dies, weil die „Times“ sich - offenbar im Gegensatz zu den Beratern der hoffnungsvollen Kandidaten - dafür interessierte, welche Schwerpunkte die Wähler im Hinblick auf die Hierarchie der Themen setzen, die in eben jener Antrittsrede besonders hervorgehoben werden sollten ebenso wie die Lösung der Probleme, welche immer wieder neu angekündigt wird. Bei der Nummer eins für die Briten, den Lebenshaltungskosten, fallen allerdings alle drei „Kandidaten“ - der Chatbot, der amtierende Premier und der Herausforderer – durch: Denn alle drei erwähnen dieses im Alltag für alle drängendste Thema überhaupt nicht. Starmer stellt die Wirtschaft auf Platz eins, bei Sunak besetzt dieses Thema die Plätze eins und zwei während ChatGPT die „Economy“ im Einklang mit dem öffentlichen Interesse daran auf den dritten Rang verweist. Diese Platzierung ist hochinteressant, zeigt sie doch deutlicher als allen lieb sein kann, die engen Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik und das erlesene Desinteresse beider an dem, was die Menschen „draußen im Lande“ bewegt.

ChatGPT kennt die Sorge der Briten um ihr Gesundheitssystem

Auch der im wahrsten Sinne des Wortes lebensbedrohliche Zustand des Gesundheitssystems, der im Ranking der Bürger auf Platz zwei steht, landet nur in der Antrittsrede des Chatbots da, wo er hingehört. Bei Keir Starmer kränkelt dieser dem Ableben bedrohlich nahe Patient auf dem dritten und bei Sunak gar auf dem vierten Platz. Bei der Wahrnehmung eines Lieblingsthemas der Briten, den eigenen vier Wänden, fallen wieder alle Kandidaten schwungvoll durch. Es findet bei ihnen keine Erwähnung in den Top five der Reden. Dabei ist gerade die Tatsache, dass junge Familien sich nicht mehr, wie jahrzehntelang üblich, ein eigenes Haus leisten können und ein Drittel der bis zu dreißigjährigen Briten aus Kostengründen noch oder wieder bei den Eltern lebt, für die Bürger ein Minuspunkt auf der Wohlfühlliste, den man nicht unterschätzen sollte - und der, was das gesellschaftliche Miteinander angeht, definitiv destabilisierend wirkt.

Spannend ist die Analyse der Antrittsrede von ChatGPT auch deshalb, weil die künstliche Intelligenz zur Überraschung vieler Leser den Klimawandel ganz oben auf die Prioritätenliste ihrer Regentschaft über die Insel setzt. Keir Starmer ist dem Chatbot mit einer Zweitplatzierung hier dicht auf den Fersen. Rishi Sunak zeigt mit einem vielsagenden Fehlen des Themas auf den Rängen eins bis fünf klares Desinteresse und die Bürger ranken diese eigentlich lebenswichtige Frage auf Rang vier ein. Warum ChatGPT hier andere Prioritäten setzt, ist eine interessante Frage: Einen selbstgesetzten Erziehungsauftrag wird man dem Chatbot nur mit einem Augenzwinkern zubilligen können, da das KI-System zwar hochintelligent ist, aber eben „nur“ jenen ethischen Axiomen folgt, die sein Konstrukteure ihm implementiert haben. In diesem Fall hätten sie in der Langfristperspektive auf das richtige Thema gesetzt, denn früher oder später wird allen Europäern der Klimawandel nahe genug kommen, um ihn für so wichtig zu hakten, wie er in Wahrheit ist.

Einige Politiker vernehmen die Signale

Die britischen Abgeordneten werden diese Analyse und die Arbeitsweise der KI gewiss zur Kenntnis nehmen, denn viele von ihnen haben ChatGPT bereits einen festen Platz in ihren Büros eingeräumt: Luke Evans, der konservative Abgeordnete für Bosworth verlas in durchaus humoristischer Absicht eine Rede im Stil Churchills, die ChatGPT für ihn verfasst hatte; und auch der englische Finanzminister Jeremy Hunt griff mit der Bemerkung: „Wer braucht Politiker, wenn es künstlicher Intelligenz gibt?“ in seiner Amtseinführung auf die Hilfe des Bots zurück. 

Möglicherweise läuft es am Ende auf eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Mensch und Bot hinaus: Die Menschen könnten davon in jedem Fall profitieren, auch, weil der Bot ein hohes Maß an unerwarteter Frömmigkeit aufweist und seine Rede mit den an die USA erinnernden Worten „Gott schütze Großbritannien“ beendet, was im Vereinigten Königreich eher unüblich ist und möglicherweise als unzulässige Einmischung in die als privat gekennzeichnete religiöse Praxis der Bürger gewertet werden würde. Vielleicht aber finden die Bürger in den gegenwärtig unsicheren Zeiten den Segenswunsch des Bots so erbaulich, dass sie ihn sich zu eigen machen. 

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