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Humanexperiment von kaum ermessbarer Tragweite

Die Geburt zweier gentechnisch optimierter Mädchen in China zeigt, dass die von Kritikern des Genom Editing artikulierte Befürchtung, Genscheren würden zur Verbesserung von Menschen eingesetzt, keinesfalls aus der Luft gegriffen war.
Reaktion auf Keimbahneingriff chinesischen Wissenschaftlers
Foto: Kin Cheung (AP) | Wie He auf dem vergangene Woche in Hongkong veranstalteten „Second International Summit on human genome editing“ darlegte, arbeitete er anfangs mit insgesamt acht Paaren, bei denen jeweils die Männer HIV-positiv und ...

Den 25. November 2018 werden sich viele merken. An diesem Tag wurden die weltweit ersten mittels der neuartigen CRISPR/Cas9-Technologie gentechnisch optimierten Mädchen geboren. Der für den Eingriff verantwortliche chinesische Biophysiker He Jiankui informierte die Welt gleich selbst: „Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana“ seien „vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt“ gekommen, ließ der erst 34-Jährige in einer am 25. November über Youtube verbreiteten Videobotschaft wissen. In dem fast fünfminütigen Video vermittelt der Chinese den Eindruck eines erfolgreich verlaufenen Keimbahneingriffs, der die Zwillinge Lulu und Nana gegen HI-Viren resistent gemacht habe.

Um Lulu und Nana gegen HIV resistent zu machen, wurde das Erbgut der Zwillinge mit der Genschere bearbeitet

HI-Viren benötigen einen Rezeptor, um in die Zellen eines Wirts eindringen zu können. Als Rezeptor werden in der Biochemie Proteine bezeichnet, an denen Signalmoleküle binden, die im Inneren der Zellen Prozesse auslösen. Die Bauanleitung für die Herstellung des von den HI-Viren benötigten Rezeptors liefert ein Gen mit der Bezeichnung CCR5. Ist es defekt, kann der Organismus den Rezeptor nicht herstellen, und von den HI-Viren nicht infiziert werden. Um Lulu und Nana gegen HIV resistent zu machen, hat He das Erbgut der Zwillinge mit der auch CRISPR/Cas9 genannten Genschere bearbeitet und das Gen CCR5 funktionsunfähig gemacht.

Kein Heilversuch, sondern ein Humanexperiment

Medizinisch gesehen stellt Hes Eingriff keinen Heilversuch, sondern ein Humanexperiment dar. Eines, dessen mögliche Tragweite noch keiner ermessen kann. Schon deshalb nicht, weil niemand sagen kann, ob das Gen CCR5 im menschlichen Organismus nicht doch eine Funktion besitzt, die Wissenschaftlern bisher unbekannt ist. Dass CCR5’s einzige Funktion darin besteht, HI-Viren zu ermöglichen, das Immunsystem zu überwinden, ist jedenfalls wenig wahrscheinlich. Darüber hinaus ist Hes Humanexperiment eines, das zeigt, dass die von prinzipiellen Kritikern des Genom Editings früh artikulierte Befürchtung, in der Praxis würden die Genscheren statt zur Heilung von Krankheiten vor allem zur „Verbesserung“ von Menschen eingesetzt, alles andere als aus der Luft gegriffen war.

Wie He auf dem vergangene Woche in Hongkong veranstalteten „Second International Summit on human genome editing“ darlegte, arbeitete er anfangs mit insgesamt acht Paaren, bei denen jeweils die Männer HIV-positiv und die Frauen HIV-negativ waren. Ein Paar sei später aus der Studie ausgeschieden. Aus den Gameten der verbleibenden sieben Paare will He, wobei die Spermien der HIV-infizierten Männer zuvor „gewaschen“ wurden, 30 Embryonen erzeugt und ihr Genom mit den CRISPR/Cas9-Genscheren bearbeitet haben. 19 der Embryonen seien anschließend gesund und lebensfähig gewesen. Von ihnen implantierte er einer Frau, die er Grace nennt, die Zwillinge, die der Welt nun als Lulu und Nana vorstellt wurden.

Eine weitere Frau soll laut He mit einem geneditierten Embryo schwanger sein

Welches Schicksal den 17 verbliebenen Embryonen zugedacht ist, ist überwiegend unklar. Lediglich eine weitere Frau soll, so He, mit einem weiteren geneditierten Embryo schwanger sein. Und auch das erst in einem frühen Stadium der Schwangerschaft. Die auf dem Hongkonger Gipfel versammelte „scientific community“, wie sich die Gemeinschaft der Wissenschaftler selbst nennt, zeigte sich schockiert. Der Vorsitzende des Organisationskomitees, David Baltimore, bezeichnete He’s Experiment als „unverantwortlich“ und kritisierte den Mangel an Transparenz.

DT

Warum der Umgang der „scientific community“ mit He nicht frei von Ironie ist, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 06. Dezember 2018.

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