Als Papst Leo XIV. am Donnerstag als erster US-Amerikaner zum sichtbaren Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde, erlebte sein älterer Bruder John Prevost einen Moment „des Unglaubens“ und zugleich der tiefen Freude. Das berichtet der 71-Jährige in mehreren Interviews.
Der neue Papst, mit bürgerlichem Namen Robert Francis Prevost, ist der jüngste von drei Brüdern und wuchs in Dolton, einem südlichen Vorort von Chicago, auf. John Prevost erinnert sich, dass sein Bruder schon in jungen Jahren eine außergewöhnliche Klarheit in seiner Berufung zum Priester hatte: „Er wusste gleich, was er werden wollte. Ich glaube nicht, dass er je daran gezweifelt hat“, sagte er am Freitag gegenüber „ABC News“. Als Kind habe Robert die Messe zu Hause nachgespielt. „Das Bügelbrett war der Altar“, so Prevost.
„Er wusste schon als Kind, dass er Priester wird“
Auch in einem am Donnerstag geführten Interview mit der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP) schilderte John Prevost den Moment, als er von der Wahl seines Bruders erfuhr. Gemeinsam mit der Nichte von Leo XIV. verfolgte er die Übertragung aus Rom, als der Name Robert Prevost fiel: „Sie fing an zu schreien, weil es ihr Onkel war, und ich konnte es kaum glauben. Es war ein Moment des Unglaubens.“
Bereits als Erstklässler sei seinem Bruder von einem Nachbarn prophezeit worden, er werde einmal Papst. Dass sich diese Vorhersage nun erfüllte, erfüllt John mit Stolz – aber auch mit Sorge. „Ich bin besorgt“, sagte er in der Sendung „Good Morning America“ des US-Senders ABC. „Es ist eine große Verantwortung, die er nun trägt. Er muss versuchen, die Katholiken weltweit wieder zusammenzubringen. Ich glaube, wir driften gerade auseinander.“
Seine größte Hoffnung für Leo XIV. ist, dass er in der Lage sein wird, bestehende Spannungen innerhalb der Kirche zu überwinden. In der Kirche gebe es Spaltungen, sagte Prevost. „Ich denke, er muss sich diesen Dingen stellen und einen Dialog eröffnen, um Menschen zusammenzubringen.“
Sorge um die neue Rolle
Im Gespräch mit der Chicagoer Zeitung „Daily Herald“ vom Donnerstag beschrieb John Prevost die familiäre Atmosphäre, in der er und seine Brüder aufwuchsen: Der Vater war Schulinspektor, die Mutter Bibliothekarin. „Es war eine ganz normale Kindheit“, so der pensionierte Schuldirektor. „Aber es ist irgendwie seltsam: Wir wussten alle schon früh, welchen Weg wir gehen würden.“ Während der älteste Bruder Louis zur Armee ging und John selbst Lehrer wurde, sei Robert bereits als Kind davon überzeugt gewesen, Priester zu werden. „Rob, so haben wir ihn immer genannt, wusste das, seit er laufen konnte.“
Die familiären Bande sind eng geblieben. Obwohl Robert Prevost nach dem achten Schuljahr ins Priesterseminar eintrat und später viele Jahre in Peru missionierte, halten die Brüder engen Kontakt. Heute telefonierten sie fast täglich, so John. Sie sprechen über Politik, Religion und lösen gemeinsam das tägliche „Wordle“-Rätsel.
Im Moment allerdings hat der neue Papst keine Zeit für solche Gespräche. „Ich habe ihn seit der Wahl noch nicht erreicht“, sagte John Prevost. Während eines Interviews mit der AP bemerkte er, dass mehrere Anrufe seines Bruders unbeantwortet geblieben waren. Schließlich habe er zurückgerufen. „Wir sprachen nur kurz über Reisepläne und gratulierten einander.“
Was ihre inzwischen verstorbenen Eltern von der Papstwahl gehalten hätten? „Sie wären überglücklich und sehr stolz“, sagte John gegenüber ABC. „Aber sie hätten sich auch gefragt, wie er das alles schaffen soll. Denn das ist eine enorme Last auf seinen Schultern.“
John Prevost ist sich der Tragweite des Pontifikats seines Bruders bewusst. „Es ist eine große Ehre, eine einmalige Sache im Leben“, sagte er zur AP. „Aber die Leute werden ihn genau beobachten.“ Die Zukunft werde zeigen, in welche Richtung Leo XIV. die Kirche führen kann. Eines scheint für seinen Bruder jedenfalls gewiss: „Er ist keiner, der extreme Positionen vertritt. Nicht zu weit links, nicht zu weit rechts. Irgendwo in der Mitte.“ DT/jna
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