Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Der Weg zur Bildung führt immer noch über Bücher

Alberto Manguel, der Autor von „Die verborgene Bibliothek“, pflegt mit seiner Büchersammlung religiösen Umgang. Von Katrin Krips-Schmidt
Bücher sammeln
Foto: Fischer Verlag | Bücher sammeln – eine unstillbare Leidenschaft. Coverbild des besprochenen Bandes.

Alberto Manguels neuestes Werk ist eine Liebeserklärung an Bücher. Doch nicht an Bücher in ihrer elektronischen Form, wie man sie auf Tablets innerhalb von Sekunden herunterladen und wieder löschen kann. Er hat, wie er selbst sagt, „Schwierigkeiten mit virtuellen Bibliotheken“, denn „man kann ein Gespenst nicht wirklich besitzen (obwohl das Gespenst von dir Besitz ergreift)“. Es ist ihm wichtig, auf die Seitenränder seiner Bücher Notizen zu machen, wenn er etwas für ihn Überraschendes oder Kostbares gefunden hat. Und: „Ich brauche die Materialität der Wörter, die stoffliche Präsenz der Bücher, ihre Form, Größe und Textur.“ Für immaterielle, virtuelle Bücher könne er daher nur eine „platonische Liebe“ aufbringen. Da sei er wie „der ungläubige Thomas: Ich muss berühren, um glauben zu können.“

Der gebürtige Argentinier, „der vielleicht größte Leser unserer Zeit“, ist ein Liebhaber – ach was, ein Besessener von Büchern in ihrer materiellen Form. Kein Bibliophiler, er ist ein obsessiver Sammler, ein Bibliomane. Ohne Bücher könnte er nicht leben. Er hat sie stapelweise neben sich auf dem Nachttisch zu liegen und beschäftigt sich den lieben langen Tag mit nichts anderem als mit allem, was mit Schrift, Literatur, Lektüre und Bibliotheken im weitesten Sinne zu tun hat. Sein Verhältnis zu seiner Passion ließe sich mit dem beschreiben, was auch schon Petrarca von sich sagte: „Ich werde von einer unstillbaren Leidenschaft getrieben, die zu unterdrücken ich bislang weder die Kraft noch das Verlangen hatte“, denn, so der Dichter der Renaissance weiter, „Bücher erfreuen uns tief im Innern, sie strömen durch unsere Adern, geben uns Rat, verbinden sich mit uns in reger und leidenschaftlicher Vertrautheit; und ein einzelnes Buch drängt sich nie allein in unsere Seele, sondern bereitet dabei den Weg für andere und weckt so in uns die Sehnsucht nach vielen weiteren.“

Dass Manguel heute – er wird am 13. März 70 – als krönenden Abschluss seiner Schriftsteller- und Übersetzerlaufbahn sogar den Posten des Direktors der argentinischen Nationalbibliothek bekleiden würde, hätte sich der Sohn des ersten argentinischen Botschafters in Israel wohl nicht träumen lassen, als er sich mit drei oder vier Jahren das Lesen selbst beibrachte und von da an alles an Literatur nur so verschlang, was sich ihm bot. Zuerst natürlich Kinderbücher, die ihm seine Eltern reichlich zur Verfügung stellten, später die Werke der Weltliteratur, deren Lesefrüchte er in all seinen auch ins Deutsche übertragenen und zu Bestsellern gewordenen Schriften mit seinen Lesern teilt. So etwa in der nun schon selbst zum Klassiker gewordenen „Geschichte des Lesens“, in der illustrierten Ausgabe mit ihren über 600 Seiten ein unerschöpfliches und inspirierendes Füllhorn an kulturhistorischen und literarischen Details zum Thema. Oder die 400-seitige „Bibliothek bei Nacht“, ebenfalls reich bebildert, in der der Autor faszinierend von seiner eigenen Bibliothek erzählt und diese in 15 Kapiteln aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtet, so etwa „die Bibliothek als Ordnung“, „die Bibliothek als Insel“, „die Bibliothek als Phantasie“ oder „die Bibliothek als Zuhause“.

Stets singt Manguel das Hohelied auf die Literatur in all ihren Facetten. Auch in seinem neuesten, soeben erschienenen Bändchen (das auf den 192 Seiten nicht das Format seiner Vorgänger erreicht) mit dem Titel „Die verborgene Bibliothek“, wo es etwa über die Gefährdung von Literatur heißt: „Und doch muss in ihr etwas Besonderes sein, so dass jeder Diktator, jedes totalitäre Regime, jeder von ihr bedrohte Apparatschik versucht, sie loszuwerden, indem Bücher verbrannt, verbannt, zensiert, taxiert werden, man sich nicht für die Verbreitung einer Lesekultur engagiert oder auch insinuiert, dass Lesen eine elitäre Beschäftigung sei.“ „Die verborgene Bibliothek“ erzählt nun von den Umständen seines Umzuges 2014 von Frankreich zunächst nach New York, von wo aus er ein Jahr später in seine Geburtsstadt Buenos Aires gerufen wurde, in der er von seinem achten bis zum 22. Lebensjahr schon einmal gelebt hatte. Manguel wohnte bis zu seinem Umzug über den Atlantik in einem großen Haus mit seiner entsprechend riesigen Privatbibliothek mit etwa 35 000 Bänden. Auch sie musste umziehen, alle Bücher vorübergehend in Kisten verpackt und nach dem Transport nach Übersee wieder ausgepackt werden. Offenbar wird des Autors Beziehung zu seinen Büchern, man kann sie fast eine zärtliche nennen. So würde es ihm beispielsweise nie in den Sinn kommen, Bücher jemals zu verleihen. In seiner Bibliothek hängt der Spruch: „Kein Borger sei und auch Verleiher nicht.“ Lieber kaufe er ein Buch ein zweites Mal, das er einem Freund oder Bekannten mitgeben möchte. Denn Bücher haben für ihn nicht den Status von leblosen Dingen, sie sind gleichsam wie erschaffene Kreaturen, die er auch so behandelt und beschreibt, sie zuweilen mit einer quasi christlich-religiösen Aura und Terminologie umgibt und definiert. Wenn er umzog – und das geschah im Laufe seines Lebens mehrere Male – packte er seine Schätze in Umzugskartons und „zwang sie, so geduldig wie möglich in Lagerräumen, die in Wahrheit Gräber waren, auf mich zu warten, in der vagen Hoffnung, eines Tages wieder auferstehen zu können“. Wenn das Auspacken einer Bibliothek dann „ein chaotischer Geburtsakt ist, dann ist das Einpacken eine minutiöse Grablegung in Erwartung eines möglichen Jüngsten Gerichts“.

Als Manguel seine neue Stelle in Argentinien antrat, übernahm er ein schweres Erbe. Ein Aspekt war etwa der, dass er den Katalog auf den neuesten Stand zu bringen hatte und die Digitalisierung vorantreiben sollte, wobei man ihm nicht einmal genau sagen konnte, wie viele Bücher sich in den Magazinen der Bibliothek befanden. „Zwischen drei und fünf Millionen“, antwortete man ihm ungerührt. Diese „verborgene Bibliothek“ möchte Manguel dem ganzen argentinischen Volk zur Verfügung stellen.

Als Direktor fragt er sich darüber hinaus: Wie kann eine Nationalbibliothek Nichtleser zum Lesen verführen? Denn das ist seine Idealvorstellung – allen Menschen einen Zugang zur Bibliothek zu verschaffen und diese deshalb permanent an die Bedürfnisse ihrer Benutzer anzupassen. „Niemand, der lesen kann“, zitiert er Dickens, „wird jemals ein Buch, auch wenn es noch zugeklappt im Regal steht, so anschauen, wie jemand, der es nicht kann.“ Die Entdeckung der Kunst des Lesens hält Manguel für eine „sehr intime, obskure und heimliche Erfahrung, die sich nur schwer beschreiben lässt. Fast als würde man sich verlieben.“ Das wahre Glück des Lesens könne nur jeder für sich selbst erfahren, wobei lesende Vorbilder, wie Eltern, Freunde oder Lehrer jedoch von großem Vorteil seien.

Passend zum Sujet ist dem Band der lesenswerte Text Walter Benjamins „Ich packe meine Bücher aus – eine Rede über das Sammeln“ beigefügt, in dem der Verfasser über das Büchersammeln zu seiner Zeit schreibt.

Alberto Manguel: Die verborgene Bibliothek – Eine Elegie und zehn Abschweifungen. S. Fischer Verlag 2018, 192 Seiten, ISBN-13: 978-310397-

369-3, EUR 18,–

Themen & Autoren
Walter Benjamin

Weitere Artikel

Kirche

Polemik, Intransparenz und rechtsfreie Räume konterkarieren das Ideal der bischöflichen Communio.
02.05.2024, 21 Uhr
Regina Einig
2003 sprach Papst Johannes Paul II. einen Priester heilig, durch dessen geistliche Schule viele der Märtyrer gegangen waren: José María Rubio.
02.05.2024, 11 Uhr
Claudia Kock