Berlin

Ein Graben ist auch nur eine Mauer

Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin soll ein Graben ausgehoben werden. Das ist keine gute Idee. Der Symbolgehalt von Mauern und Gräben sollte gerade in Berlin verstanden werden.
Graben vor dem Reichstag
Foto: Monika Skolimowska (ZB) | Ausgerechnet der Deutsche Bundestag will „aus Sicherheitsgründen“ einen Graben von zehn Metern Breite und 2,50 Metern Tiefe vor dem Reichstagsgebäude ausheben lassen.

Es gibt Einfälle, die kann man ausfallen lassen. Der Graben vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gehört eindeutig dazu. Wer sich das ausgedacht hat, lebt schon längst in einem anderen Universum. Dort fehlt offensichtlich jedes Verständnis für den Symbolgehalt des Unterfangens.

Ausgrenzung des Bürgers, Abgehobenheit der politischen Klasse

Berlin ist die Stadt, die von 1961 bis 1989 durch eine Mauer geteilt war. Berlin ist die Stadt, von der aus ein Staat regiert wurde, der seine Bürger glaubte einsperren zu müssen. Noch heute sieht man in Berlin an vielen Stellen die Grausamkeit und Tristesse des Betonungeheuers „Berliner Mauer“. Als dieses Symbol von Terror und Unterdrückung fiel, schien eine neue Zeit angebrochen. Es war unglaublich, die Nacht zu erleben, in der die Mauer fiel. Menschen atmeten plötzlich den Geruch der Freiheit und auch hier im Westen war klar, dass jetzt eine neue Zeit beginnt.

Eine Zeit der neuen Freiheit hatte in der Tat begonnen. Begonnen hatte auch die Ära, in der ein freiheitlich demokratisches Land von Berlin aus regiert wird. Nun will ausgerechnet der Deutsche Bundestag „aus Sicherheitsgründen“ einen Graben von zehn Metern Breite und 2,50 Metern Tiefe vor dem Reichstagsgebäude ausheben lassen. Das ist ein Akt der Ausgrenzung des Bürgers und Abgehobenheit der politischen Klasse, der noch die kühnsten Vorstellungen sprengt. Vor dem Gebäude über dessen Hauptportal der Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ prangt, wird ein Graben zum Deutschen Volke und seinen Gästen in Berlin gezogen. Aus Sicherheitsgründen, so heißt es. Besucher sollen künftig durch einen Tunnel in das Reichstagsgebäude gelangen.

Es darf keine Gräben zwischen Bürgern und Abgeordneten geben

Es bleibt das Signal: In der Stadt der Mauer heben die Regierenden unseres Landes jetzt einen Graben aus. Dies ist die blödeste Idee, die man im Zusammenhang mit einem Parlamentsgebäude haben kann. Da muss sich Protest erheben. Es darf bei allem Verständnis für die Sicherheit des Deutschen Bundestages, der Parlamentarier und der Angestellten keine Gräben und Mauern zwischen den Bürgern und ihren Abgeordneten geben!

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DT

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