Das Kind: „gezeugt, nicht gemacht“

Im Blick auf Natalität gefragt: In welchen Formen gilt die Versuchung zur Selbstdurchsetzung auch gegenüber der nächsten Generation? Ist das Kind eine Funktion seiner Eltern, zweckhaft an ihre Interessen gebunden, und sei es als „Wunschkind“? Natürlich ist ein interessegeleitetes Denken und Wünschen nicht illegitim, und natürlich ist jedes Lebewesen, auch der Mensch, nicht einfachhin außerhalb der Interessen anderer zu sehen. Relation gehört überhaupt zum Leben, und damit ist der Blick auf ein anderes Leben immer auch selbstbezogen gerichtet, oder eben zweckhaft. Im Blick auf ein Kind lauten die zweckbestimmten Fragen: Kann man oder frau es jetzt oder erst später oder gar nicht brauchen, wie weit passt es in den Rahmen des eigenen Lebensentwurfs? Nochmals: „Brauche“ ich ein Kind, um meine mütterlichen Instinkte auszuleben – wie es auch in der Diskussion um das „Recht auf ein Kind“ bei geistig Behinderten zu hören ist?

Das zweckliche Fragen ist jedoch vordergründig, ja vielleicht ist nichts so gefährdet wie ein „Wunschkind“, denn der Wünschende „fällt unerbittlich in eine Haltung der Anmaßung gegenüber dem Kind und beginnt zweifellos unter dem Anschein von Sorge einen wahren Kampf mit dem Kind, um aus ihm das zu machen, was er sich selbst als Modell und Ideal gedacht hat. [...] da behandelt der Mächtige den schwachen Menschen als ein Wesen ohne Recht, weil er dort selbst der Gesetzgeber ist und das Schicksal der Untergebenen bestimmt.“3

Schon die alteuropäische philosophische Ethik hat zur Klärung solcher nicht von außen festgelegter Würde das Wort „Sinn“ entwickelt im Unterschied zum Zweck: Zwecklos, aber sinnvoll sind die Grundvollzüge menschlichen Daseins. Zwecklos: weil nicht einzig, ja im Entscheidenden nicht von der Zielbestimmung anderer abhängig; sinnvoll, weil in sich selbst stimmig, auch wenn niemand anderem mit diesem Leben „genutzt“ ist. Dies ist ein Boden, den die Zweckrationalität vermeidet, da sie hier an ein plus ultra des Daseins rührt.

Dieses plus ultra lässt sich zumindest durch eine Frage aufhellen: Sind es denn die Eltern, die Kette unbekannter Vorväter und Vormütter, die das Kind gewollt und ihrem Willen entsprechend „gemacht“ haben? Tatsächlich ist es so, dass die Eltern selbst dem Kind zwar die leiblichen und seelischen Vorgaben, den Genotyp, mitgeben, aber keineswegs im Sinne bewusster Formung, des Phänotyps. Weder kennen sie das Kind im Vorhinein, noch bestimmen sie (bisher) sein Geschlecht oder seine Anlagen; ihre Aufgabe ist viel mehr es kennenzulernen, als es zu erschaffen. Bestimmt sich aber das Kind selbst später, wenn es sein mitgegebenes Potential gestaltet, sich die eigene Form erarbeitet? So gefragt, lässt sich der Satz bejahen, allerdings bleibt nach wie vor jede Mitgift als datum bestehen. Daher müssen auch Eltern das Kind erst als Unbekanntes annehmen, ja, dass das Kind selbst muss sich später im Reifungsvorgang annehmen, seine Grenze und sein Nichtvermögen ebenso wie seine Mitte und sein Können. Es ist sich ja auch selbst durch seine Geburt „voraus“, und nicht nur ist das Leben mit Heidegger als ein „Vorlaufen in den Tod“ zu kennzeichnen, sondern umgekehrt ist Geburt ein „Vorlaufen in das Leben“. Können wir diesen geheimnisvollen Anfang beleuchten?

3 Maria Montessori, Gott und das Kind, Freiburg 1995, 28. Von daher ist schon die Zeugung eines Kindes in vitro als technische Verifikation von Planung anzufragen.