Sprache des Leibes: Sprache der communio vitae

Die wiederkehrende Redewendung Johannes Pauls II. von der „Sprache des Leibes“1 legt bei näherer Prüfung etwas Großentworfenes frei, das in die communio vitae der Geschlechter führt. Angezielt ist offenbar eine „Phänomenologie“ der leiblichen Vorgegebenheit, die freilich nur in wenigen Zügen ausgearbeitet wird. Phänomenologie meint im Wortsinn ein „Zur-Erscheinung-Bringen“, ein Freilegen dessen, was das Phänomen von sich selbst her zeigt. Das anthropologisch einzigartige Datum, dass nur Frau und Mann „ein Fleisch“ werden und neues Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das es geht: Diese „Fleischwerdung“ der beiden Geschlechter miteinander enthält bereits die Aussage, dass in der gegenseitigen Hingabe kein beliebiges und austauschbares Spiel steckt, sondern dass der Geschlechtsakt und die in ihm unerhört aufklingende emotionale und geistige und sich im Kind unmittelbar verkörpernde Erfahrung einzigartig sind. Einzigartiges aber ist von sich aus als tiefe Wirklichkeit, ja als die sonst (vielleicht gerne) verdeckte Tiefe der Wirklichkeit zu erfahren, die nicht beliebig abrufbar oder manipulativ zu „haben“ ist.

Daher ist die Sprache des Leibes „von selbst“ auf Dauer hingeordnet gegenüber dem, der sich ganz schenkt, weil sich im Schenken neue, alles verändernde Wirklichkeit auftut: Sie gelingt nur gemeinsam. Der Mann wird nur an der Frau zum Mann und zum Vater; die Frau nur am Mann zur Frau und zur Mutter. Dauer meint Treue, und Treue meint wegen der Wucht und Einzigartigkeit des Liebeserlebnisses sowie der Zeugung und Geburt Ausschließlichkeit: „Du für immer“. Sie meint weiterführend auch Unauflöslichkeit, der die Zeit nichts anhaben kann – denn solche Hingabe und die gemeinsame Zeugung eines Kindes sind nicht zurückzunehmen (obwohl die Abtreibung auch das versucht: das gewaltsame „Verstummen“ des Leibes.). Freilich lehrt die Erfahrung, dass die Zeit ein solch tiefes Miteinander abflachen kann. Aber gerade daran ist abzulesen, dass die Sprache des Leibes nicht mehr gelingen kann, wenn sie nicht mehr durchpulst ist von Leben und Liebe und Ausschließlichkeit – von sich aus enthält der Leib jedoch jederzeit eine große gegenseitige Beseligung. Das führt zur Frage einer umfassenden „Erziehung“ zur Ehefähigkeit, nicht aber zur Leugnung der Leibsprache als solcher.

Der Charakter der Hingabe kann freilich durch unreine und vordergründige geschlechtliche Akte verfälscht werden und wird beständig verfälscht. Der Leib kann nicht mehr „sprechen“, wenn er sich an einschränkende Bedingungen halten muss: „Gib dich mir nur für den Augenblick; ich will meine Befriedigung, nicht deine Liebe; auf keinen Fall ein Kind...“ Von sich aus betont aber die Hingabe in ihrer reinen Form die Einzigkeit des Du – diese Einzigkeit will grundsätzlich und nicht zeitabhängig bejaht werden. Wo Sexualität von Anfang an auf Pluralität ausgerichtet ist, zeitgeistig oder aus eigener Beschränkung heraus, gelangt die Sprache des Leibes gar nicht zu ihrer ganzen Selbstaussage: Sie versackt einfach im Selbstgenuss. Wie wenig das von dem Partner „verziehen“ wird, zeigen die Mythen aller Jahrhunderte, die die dramatische Rache der Betrogenen ausmalen. Alltäglicher zeigen es die Entfremdungen: „Die vielen Verbrechen der Intimität, die ungesühnt bleiben. die vielen trostlosen Falschheiten und Täuschungen des Zusammenlebens, die Verschlagenheiten der Liebe, Gemeinheiten und Verletzungen oft, die in jedem anderen sozialen Bereich undenkbar wären... Ist denn Intimität kein sozialer Bereich? Ich sehe Schuld und Übeltat, doch die Verhältnisse soufflieren mir etwas von Wechselseitigkeit, schwieriger Kindheit, Schwäche der Lebensführung, mangelndem Schuldbewusstsein, Launen und verlorener Beherrschung. Die Verhältnisse plädieren für Verzeihen, wo ich nur Unverzeihliches erkennen kann.“2

Eindeutig gehört also zur Sprache des Leibes das Dauernde, das Ausschließliche, das Fruchtbare. All dies auf Dauer oder aus egozentrischen Gründen zu unterdrücken, chemisch zu nivellieren oder umgekehrt den Selbstgenuss zu stimulieren, macht aus dem Leib den „Körper“, der als Objekt und nicht als Subjekt des Handelns oder besser des Geschehens gesehen wird. Er spricht nicht mehr mit, ist gleichsam tabula rasa der Manipulation. Auf dieser genuinen Mitsprache des Leibes beruht das kirchliche Verbot des unverbindlichen Verkehrs und der künstlichen Verhütung oder Befruchtung in allen technischen Variationen (deren Zwecke heute weit über das hinausgehen, was ursprünglich als „Hilfe“ für unfruchtbare Ehepaare medizinisch verteidigt wurde).

1 Johannes Paul II., Die Erlösung des Leibes und die Sakramentalität der Ehe. Katechesen 1981-1984, in: Norbert und Renate Martin (Hg.), Vallendar-Schönstatt 1985. 2 Botho Strauß, „Orpheus aus der Tiefgarage. Über Gene, Liebe und die Verbrechen der Intimität“, in: Der Spiegel 9 (2004), 165.