„Zum Glück verschieden – Frau und Mann in der Familie“ – für den zweiten Vortrag konnten wir Frau Prof. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz gewinnen. Sie war Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der Technischen Universität Dresden und ist seit ihrer Emeritierung Leiterin des Europäischen Instituts für Philosophie und Religion“ an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei Wien. Im vergangenen Jahr wurde ihr von Papst Franziskus der Joseph-Ratzinger-Preis verliehen.

Zwei postmoderne Dynamiken gegen das Selbstverständliche

Es gibt einen chinesischen Glückwunsch: Ich wünsche Dir uninteressante Zeiten! Wir leben offenbar in interessanten Zeiten: Unsere Welt nennt sich „post“ und „trans“ – Mann und Frau, wie dem Mutterleib entsprungen, waren einmal. „Fließende Identität“ ist das Motto der androgyn-multiplen Körperlichkeit der Techno-, Pop- und Cyber-Kultur – alltäglich längst angekommen. Utopien des totalen Selbstentwurfs setzen sich zunehmend durch. Man ist nicht nur seines Glückes Schmied, sondern auch seines Körpers Schneider. Sogar die Frauenbefreiung hat ihr Subjekt verloren; Frauen „gibt“ es nicht einfach. Nicht mehr das biologische, sondern einzig das soziale oder zugeschriebene oder selbstgewählte Geschlecht ist im allgegenwärtigen Gender-Sprech wichtig. Das irritierende Spiel mit dem eigenen Fleisch verwischt alle Grenzen – Dekonstruktion ist das neue Fanal. Zwei Geschlechter? Nein: Vierundsechzig (oder mehr).

Das hat gewaltige ethische Folgen. Gender nauting, das Navigieren zwischen den Geschlechtern, will konkret ein Ausschöpfen aller sexuellen Möglichkeiten, besonders der Gleichgeschlechtlichkeit. „Zwangsheterosexualität“ sei nichts als ein durchschaubares Machtspiel. Polyamorie fordert die Einehe heraus. Immer neue „Inszenierungen“ des Geschlechts heben den angeblich starren Körperbegriff auf – teils fiktiv in spielerischer Virtualität (transgender), teils real mit Hilfe operativer und hormoneller Veränderung (transsexuell). Mann kann Frau werden, den eigenen Samen einlagern und eine gute Freundin bitten, Leihmutter zu werden – eine längst verwirklichte High-Tech-Kooperation. Das um 1900 aufgetauchte Schlagwort vom „Dritten Geschlecht“ ist in Deutschland seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2017 rechtskräftig. Die Gender-Theorie ist auf dem Weg zur grundsätzlichen Überholung des eigenen Körpers.

Aber: Ist Geschlecht nur ein zufälliges „Beiwerk der Evolution“ oder hat es einen konstitutiven Sinn? Auf dem Weg von den höheren Säugern zum Menschen gibt es mehrere Transformationen, die das Geschlecht an die Personwerdung binden. Aus tierischem Trieb wird menschliches Begehren, mehr noch: Begehren, begehrt zu werden; aus der Vermehrung wird Zeugung mit bleibender Verantwortung für das Gezeugte; aus dem Geschlechtsakt wird Ehe; aus der Ehe die generationenübergreifende Familie. So umgeformt wandeln sich naturale Anlagen in personale, bewusste Sinnhaftigkeit. Allerdings: Menschliche Sexualität ist nicht von sich aus für diese Stabilität „gesichert“, kann zurückgleiten in den tierischen Trieb. Natur muss erst erzogen = kultiviert werden, sie ist keine gusseiserne Vorgabe. Und so wird sie in verschiedenen Kulturen verschieden überformt – das ist das Körnchen (freilich nur ein Körnchen) Wahrheit, das in „Gender“ steckt. Wir „haben“ nicht einfach einen Körper, wir müssen ihn gestalten: durch Kleidung, Benehmen, Selbstbeherrschung, Scham, Sitte …

Die Gender-Theorie hätte niemals Erfolg gehabt, wären nicht zwei außerordentliche Dynamiken zur Stelle: die High-Tech-Medizin und das Autonomie-Streben des selbstbewussten Individuums. Die erste Dynamik ist der späte Ausläufer des neuzeitlichen Mensch-Maschinen-Modells, das heute bis zum Transhumanismus weitergeträumt wird. Dabei wird der lebendige Leib zum sachlichen Körper degradiert: Er lässt sich im Labor herstellen, steigern, optimieren, manipulieren, neuerdings sogar selbstbestimmt töten. In der „lichten Zukunft“ steht der „Cyborg“ = Cyber Organism, der durch Transplantate und Nanocomputer funktionsfähig erneuerbare Körper.

Die zweite Dynamik ist ein später Ausläufer der Aufklärung: des hochgesteigerten Freiheitswillens der „Western Civ“. Damit kommt eine maßlose Anstrengung ins Spiel: Aus „gegeben“ soll „(selbst)gemacht“ werden. Auch Geschlecht ist nicht mehr „datum“, sondern „factum“ – eine Art Software mit Mehrfachbeschriftung. Auch ohne medizinischen Eingriff genügt der imaginierte Selbstentwurf, zu irgendeinem oder gar keinem Geschlecht zu gehören. Sind Bio-Mann und Bio-Frau demgegenüber hoffnungslos „vormodern“? Rein medizinisch gesehen ermöglichen Pubertätsblocker, Hormongaben, Operationen nur eine unvollständige Teil-Umwandlung; Fortpflanzung ist damit ohnehin unmöglich. (Übrigens wird immer öfter ein (unmögliches) Zurück zum „Original“ gewünscht.) Und psychologisch gefragt: Ist Selbstablehnung nicht psychisch therapiebedürftig?

Aber nicht die Naturwissenschaft, nicht die Psychologie beantworten den Sinn, die Zielrichtung von Mann und Frau. Vielmehr ein alter Text, die Genesis.

Foto: Prof. Dr. Gerl-Falkovitz © Bjoern Haenssler