Schon wieder eine sexuelle Revolution

Auffallend ist in allen europäischen Ländern die derzeitige Obsession politischer Kräfte, ausgerechnet die Geschlechterrollen und das Sexualleben der Bürger in neue Denk- und Handlungsschablonen zu pressen, als gäbe es keine wichtigeren Themen als die nächste sexuelle Befreiung. Das war vor 50 Jahren bereits einmal der Fall, jetzt kommt es mit neuer Rhetorik, aber altem Gedankengut noch einmal zurück. Die Schnittstelle zwischen Sexualität und Kultur wird dabei nicht nur in der EU, sondern in allen westlich geprägten Ländern gerade neu verhandelt. Das, was irgendwann als die zweite sexuelle Revolution in den Geschichtsbüchern vermerkt werden wird, arbeitet in Wahrheit an einer Verschiebung dessen, was als Kultivierungsgeschichte der menschlichen Sexualität eine gewisse Stabilität in die zwischenmenschlichen Beziehungen, und die daraus resultierenden Familien- und Gesellschaftssysteme gebracht hat.

Man bringt gerade die Stabilität eines eingespielten Systems ins Wanken. Und es ist nahezu erstaunlich, dass sich gleichzeitig so wenige Menschen über das mögliche gesellschaftliche Ergebnis dieses tiefgreifenden Prozesses Gedanken machen. Dabei hat es umwälzende Auswirkungen nicht nur auf den Fortbestand der Kleinfamilie, sondern in Folge auf den Fortbestand ganzer Gesellschaften. Wer Sexualität von Beziehung, Beziehung von Verwandtschaft und Verwandtschaft von Abstammung entkoppelt, ist nicht modern, sondern waghalsig.

Es darf nicht als Zufall gewertet werden, dass in allen europäischen Ländern das politische Bestreben zu beobachten ist, neue Rollenvorstellungen von Sexualität, aber auch vom Zusammenleben der Menschen nicht mehr im Bereich von Ethik, Moral und Wertvorstellungen anzusiedeln, sondern neuerdings als Element von Wissen und Bildung in Lehrplänen und somit in den Köpfen von Kindern zu verankern. Die Intension geht so weit, dies „Wissen“ als neue, alleinige Wahrheiten bei der nächsten Generation zu verankern, auch wenn sie möglicherweise (noch) im Widerspruch zu den Wertvorstellungen ihrer Elterngeneration stehen.

Falscher Fokus auf Minderheiten

Am Beispiel der Definition von Familie wird der politisch forcierte Wandel besonders sichtbar. In der traditionellen Definition verstand sich Familie schon immer als ein vorstaatliches Gebilde, das nicht erst durch Verfassungen definiert wird, sondern von Gesetzen allerhöchstens bestätigt und mit besonderen Schutzrechten ausgestattet wurde. Als Familie gilt hier die natürliche Familie, verbunden durch biologische Abstammung über Generationen hinweg. Papst Benedikt der XVI. sprach bei seiner Rede im Deutsche Bundestag von der „Ökologie des Menschen“, man könnte die „Ökologie der Familie“ analog benennen. Sie ist nicht eine Konstruktion, sondern ein Sein. Dem gegenüber steht neuerdings die Familien-Definition der Moderne: Familie als konstruierte, juristische Zuordnung.

Festzuhalten bleibt: Im Ergebnis nutzt die Politik der Anerkennung neuer Familienformen nicht der Allgemeinheit, sondern nur den jeweiligen Minderheiten, die nach Familienstatus streben. Demographisch betrachtet ist diese Politik nahezu desaströs, weil sie die natürliche Fortpflanzung nicht fördert, sondern als zweitrangig definiert. In einer Art fatalem Kreislauf verhindert der Fokus auf Minderheiten die Konzentration der Politik auf die stabile Mehrheit der natürlichen Familien. In Ländern wie Deutschland fehlt ausgerechnet dort, wo der Staat einen gesunden Utilitarismus aus Selbsterhaltungstrieb an den Tag legen sollte, eine sinnvolle Politik im Sinne der demographischen Stabilität.

Diversität in der Familienpolitik zulassen

Andere europäische Länder wie Frankreich oder auch Polen, aber auch die skandinavischen Länder haben jeweils unterschiedliche, aber doch wenigstens deutlich erkennbare Strategien der Bevölkerungspolitik. Ungarn tut sich besonders in diesem Feld hervor und erzielt mit einer massiven Förderung von Familie und hoher Kinderzahl erste demographische Ergebnisse. Auch hier zeigt sich erneut, wie vermessen der Versuch wäre, einheitliche Wege oder Standards für Alle zu fordern. Größte Schwierigkeit erscheint schon die Festlegung eines einheitlichen Zieles: Bewahrung und Kultivierung der eigenen Bevölkerung oder Lösung der demographischen Krise durch Zuwanderung? Während sich Länder wie Frankreich sehr bewusst um ihre Geburtenrate kümmern, ist in Deutschland nahezu eine Verweigerung einer demographischen Steuerung der eigenen Bevölkerung aus historischer Verklemmtheit heraus zu erkennen, weil nedem, der öffentlich zu einer höheren Geburtenrate einheimischer Frauen rät, ein Rassismusvorwurf oder wenigstens eine Mutterkreuzdebatte droht. Auch auf diesem Feld ist keine europäische inhaltliche Gesamtlinie erkennbar. Ein Wettbewerb der Idee und Kulturen statt einer DIN-Norm kann auch hier nur die Lösung sein.