Das letzte Referat von Bischof Wolfgang Ipolt trägt den Titel „Seelsorge mit Familien“. Nach vielen Jahren in der Seelsorge und in der Priesterausbildung (zuletzt als Regens des Priesterseminars in Erfurt) wurde Wolfgang Ipolt 2011 von Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Görlitz ernannt.

Vorbemerkung

Ich kann meinen Vortrag über die seelsorgliche Seite des heutigen Themas nicht beginnen, ohne einen der für mich schönsten Sätze zu nennen, mit denen ein päpstliches Schreiben je begonnen hat: „Amoris laetitia quae in familiis viget laetitia est quoque Ecclesiae. – Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche.“1 Ich freue mich darüber, dass hier nicht „vivit“, sondern „viget“ im lateinischen Text steht – ein Verbum, das eine wirkliche Lebendigkeit und Freude ausdrückt. Wenn es um die Freude in den Familien geht – die Freude ist ja, wie wir wissen, eine der Früchte des Heiligen Geistes – dann ist es selbstverständlich, dass seelsorgliches Bemühen solcher Freude zu dienen und ihr den Weg zu bereiten hat.

Aber zu gelebter Freude und Liebe in einer Familie gehört auch, dass es diese Gemeinschaft ermöglicht, dass Schwierigkeiten und Belastungen. Krankheit und Leid getragen werden können. Das Sprichwort sagt mit Recht: „Geteilte Freude ist doppelte Freude. Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ So empfand ich es als ein sehr schönes Zeichen, dass in diesem Jahr beim Kreuzweg des Papstes am Colosseum Familien aus verschiedenen Ländern das Kreuz getragen haben und es einander weitergegeben haben. Es entstand für mich in dieser Geste eine weltumspannende Gemeinschaft von Familien, die im Glauben miteinander verbunden waren und die ihren alltäglichen Lebensweg im Gebet des Kreuzwegs mit dem Weg des Herrn verbunden haben.

Seelsorge Mit Familien

Ich habe das Wort „mit“ jetzt großgeschrieben, weil es für mich eine wichtige pastorale Vorentscheidung enthält, für die ich bei dem mir gestellten Thema grundsätzlich dankbar bin. Das „mit“ verdeutlicht: Familien sind nie nur Objekte unserer Seelsorge und des Bemühens der Kirche. Sie sind selbst kraft der Taufe und Firmung und durch die Gnade des Ehesakramentes Subjekte seelsorglichen Handelns. Es gehört zum seelsorglichen Auftrag jedes Mitarbeiters der Kirche, dies zu sehen und zu würdigen. Ja, der Dienst der Priester und hauptamtlichen von der Kirche beauftragten Seelsorger besteht ja gerade darin, die Familien – Eheleute und Kinder – zu bestärken und zu ermächtigen, ihren Glauben zu leben und ihn in der Familie zu praktizieren.

In dieser Hinsicht äußert Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Amoris laetitiaschon im zweiten Kapitel kritisch, dass wir „demütig und realistisch anerkennen [müssen], dass unsere Weise, die christlichen Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln, manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute beklagen. […] Auch wir haben die Neuvermählten in ihren ersten Ehejahren nicht immer gut begleitet, etwa mit Angeboten, die auf ihre Zeitpläne, ihren Sprachgebrauch und ihre wirklich konkreten Sorgen eingehen. Andere Male haben wir ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt, das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation […] der realen Familien entfernt ist. Diese übertriebene Idealisierung […] hat die Ehe nicht erstrebenswerter und attraktiver gemacht, sondern das völlige Gegenteil bewirkt.“2 Indem die mit der Seelsorge Beauftragten sich in ihrem Überlegen, Denken und Tun mit den Familien bewegen und Anregungen geben, bleiben sie in engem Kontakt mit ihnen und können ihnen helfen, eine Unterscheidung im Licht des Evangeliums zu finden und zu leben.

Solche Art von Seelsorge mit den Familien wird auch Rückwirkungen haben auf das Wirken und die Haltung der Priester und anderer pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So sehr sie selbst natürlich die geweihten, beauftragten und gesendeten Verkünder sind, so sind sie im Blick auf die Familien auch die Empfangenden, die teilhaben dürfen an den Erfahrungen, an den Lasten und Freuden der Eheleute und der Familien.

Das Vertrauen, das den in der Seelsorge Tätigen entgegengebracht wird, ist auch heute noch ein großer Schatz, der den Raum für eine Gottesbegegnung auf beiden Seiten eröffnen kann. Darum gehört das fürbittende und manchmal sicher auch das gemeinsame Gebet integral zu solcher Seelsorge. Dies gelingt selbstverständlich nur, wenn das menschliche Miteinander immer wieder geöffnet wird für das Wirken des Heiligen Geistes und somit zu einer geistlichen Erfahrung wird.

1 Franziskus, Nachsynodales Schreiben Amoris laetitia, 19.3.2016, in: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20160319_amoris-laetitia.html [8.6.2022], 1. 2 Franziskus, Amoris laetitia, 36.

Foto: Bischof Wolfgang Ipolt © KNA