Familiengruppen in Pfarreien und geistlichen Bewegungen

Dort wo sich Familien zu kleinen christlichen Gemeinschaften zusammenschließen, wirkt sich das immer stärkend und hilfreich für die Ehe und die Familie aus. Insbesondere in der früheren DDR war es vielfach üblich, dass ein großer Teil derer, der kirchlich geheiratet hatten, sich einer solchen Familiengruppe anschloss. Diese Gruppen (oder „Familienkreise“, wie sie auch genannt wurden) trafen sich häufig am Abend auch in den Häusern von einzelnen Gläubigen und nicht nur in den Räumen der Pfarrei. Ab und zu war der Priester dort zu Gast und gab neue Impulse. Durch die Veränderungen in der Arbeitswelt und die größere Mobilität, wie auch eine zunehmende Individualisierung ist es heute schwieriger geworden, auf der Ebene der Pfarreien solche Gruppen neu zu etablieren.

Lebendig ist das Miteinander von Familien aber weiterhin vor allem in den geistlichen Bewegungen unserer Kirche. Vereint unter einem gleichen Ziel und verbunden durch eine gemeinsame Spiritualität begegnen sich hier Familien, oft mit den Kindern, jüngere und ältere Ehepaare, und begleiten einander auf dem Glaubensweg. Solche Art von Zusammenhalt gelingt auch über Pfarrei- und Bistumsgrenzen hinweg, wenn es in größeren Abständen Tage der Vergewisserung und der Gemeinschaft gibt. Hilfreich ist dabei für die einzelne Familie das Wissen um den gleichen geistlichen Weg mit anderen, bestimmte Gebetsweisen, die verbinden, und natürlich eine regelmäßige Vertiefung der je eigenen Spiritualität durch Exerzitien und Einkehrtage.

Sowohl in den Familiengruppen einer Pfarrei wie auch in den geistlichen Bewegungen sind die Eheleute oft füreinander Seelsorger und Glaubensbegleiter. Da geschieht vieles ganz unspektakulär im Gespräch und im Anteilnehmen und Deuten von Situationen des Alltags im Licht des Evangeliums. Der Priester ist vielfach als geistlicher Moderator und Impulsgeber für solche Gruppen und Gemeinschaften wichtig.

Einzelseelsorge in Krisensituationen

Das Leben von Eheleuten und Familien verläuft nie glatt und ohne Schwierigkeiten. Zu jeder menschlichen Beziehung gehören Belastungen und kann auch das das Scheitern gehören. Das sind Erfahrungen die das Leben schreibt und die in vielen Fällen ungeplant kommen und darum nicht vorher eingeübt werden können.

„Erst angesichts einer engagierten Vorstellung, die wir von einem gelingenden Leben in unseren persönlichen Beziehungen haben, kommt im Kontrast dazu die bittere Erfahrung zustande, dass entgegen den Intentionen und den Bemühungen ein Entwurf ‚gescheitert‘ ist. Zum Scheitern gehören manchmal unangemessene Vorstellungen vom Gelingen, falsche Ideale. Je fragwürdiger das Ideal, umso näher das Scheitern. Ein Ideal wird fragwürdig, wenn es die Wirklichkeit überspringt, und je größer es erscheint, umso größer ist das leiden an der Wirklichkeit.“9 Zu den eigentlichen Krisen in der Beziehung zum Ehepartner gesellen sich andere Belastungen des Miteinanders in einer Familie: die Erfolglosigkeit in der religiösen Erziehung der Kinder, die für Eltern (und erst recht für Großeltern) großes Leid bedeutet; eine schwere Krankheit, die unvorhergesehen hereinbricht und längere oder gar dauernde Einschränkungen bedeutet; der Verlust des Arbeitsplatzes, der Tod des Ehepartners und vieles andere mehr.

Zu all diesen Erfahrungen gehört oft die undurchdringliche Frage: Warum? Warum gerade ich, warum gerade wir? Was haben wir falsch gemacht? Solche Fragen haben eine religiöse Dimension und rufen nach einer Antwort des Glaubens. Seelsorge wird hier hilfreich sein, indem sie das Licht des Evangeliums ins Spiel bringt und dazu verhilft, dass gerade im Scheitern und in Belastungen die Gemeinschaft mit der Kirche nicht aufgekündigt wird. Hier ist eine diakonische Pastoral gefordert, die sich in der Regel als Einzelseelsorge darstellt und darum auch zielgerichtet handeln kann.

Für mich bleibt bei diesem Punkt allerdings die bedrückende Frage im Raum stehen: Wie kann es bei den immer größer und unübersichtlicher werdenden Pfarrstrukturen für die derzeit weniger werdenden Priester und hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger überhaupt möglich sein, dass solche Situationen aufgespürt und angemessen begleitet werden? Hier sind Herausforderungen verborgen für eine Kirche, die das Erbarmen Gottes präsent machen soll, an denen wir uns messen lassen müssen.

Liturgie und Gottesdienst mit Familien

Die Feier der Liturgie und dabei insbesondere die sonntägliche Eucharistiefeier gehören zum Grundbestand des Katholischen. Darum bedarf die Liturgie zu jeder Zeit der Aufmerksamkeit für die Familien, die sie mitfeiern und besonders für die anwesenden Kinder. Damit ich recht verstanden werde: Liturgie ist nichtKatechese – sie muss vielmehr in überzeugender Weise gefeiert werden, und zwar so, dass die „actuosa participatio“ aller Teilnehmer gefördert wird und sie sich für das öffnen können, was gefeiert wird - jeder entsprechend seinem Alter und seiner persönlichen Disposition.

Ich persönlich sehe – neben dem Ministrantendienst – viele Möglichkeiten, Kinder in die normale Sonntagsmesse einzubeziehen ohne den Gottesdienst zum „liturgischen Übungs- oder Spielfeld“ verkommen zu lassen: Kinder können sich beim Vortrag der Fürbitten beteiligen, Kinder können helfen beim Einsammeln der Kollekte, sie können mit Erwachsenen gemeinsam eine Gabenprozession gestalten. Insbesondere die Predigt kann ab und zu insbesondere die Familien oder sogar die Kinder direkt in den Blick nehmen, was dann übrigens meist dankbar von den Erwachsenen angenommen wird, da der Prediger plötzlich sich einer Sprache bedient, die auch für Erwachsene verständlicher und klarer ist.

Ohne Zweifel: Die Hochform der Eucharistie braucht heute katechumenale Vorformen, Einübungsfelderin liturgische Vollzüge. Grund dafür ist, dass wir derzeit einen epochalen Abbruch in der Gebetspraxis der Familien und damit auch bestimmter liturgischer Formen (ich nenne an dieser Stelle nur das Kreuzzeichen, das Weihwasser, bestimmte Gebetshaltungen u.a.) erleben, dem wir begegnen müssen. Hier wird die Seelsorge viel Fantasie aufbringen müssen, um Familien immer wieder zu bereiten und zu öffnen für diesen Kern kirchlichen Tuns.

Liturgie wird aus meiner Sicht bereits in den Häusern eingeübt und vorbereitet: Wenn Eltern ihre Kinder segnen, wenn es Tischgemeinschaft in der Familie gibt, wenn das Brauchtum entsprechend dem Kirchenjahr gepflegt wird – dann ist das Vorbereitung und Befähigung zugleich für die Mitfeier der offiziellen Liturgie der Kirche.10

Wir wissen: Die Liturgie hat einen evangelisierenden Charakter. Wir werden in ihr mit der Botschaft des Evangeliums konfrontiert und wir feiern das Heilswerk Christi, das uns immer wieder hineinnimmt in die große Gemeinschaft der Kirche. Wenn die Familie der Ernstfall der Evangelisierung ist, wie es Kardinal Kasper gesagt hat, dann bedarf es einer sensiblen Gestaltung unserer Gottesdienste im Hinblick auf unsere Familien, um ihnen den Wert insbesondere der Sonntagsliturgie zu erschließen.

9 Dietmar Mieth, Gelingen und Misslingen in Liebe und Ehe, in: G. Augustin/Ingo Proft, Ehe und Familie – Wege zum Gelingen aus katholischer Perspektive, Freiburg 2014, 225. 10 Vgl. Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 24.22.2013, in: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html [8.6.2022], 122 f.