Was geschieht bei einer In-vitro-Fertilisation?

Diese Ausführungen über den Embryo waren notwendig, weil sie die Voraussetzung für eine ethische Bewertung der In-vitro-Fertilisation schaffen, die eine attraktive Möglichkeit darzustellen scheint, den lang ersehnten Kinderwunsch erfüllt zu sehen, der auf natürlichem Weg nicht verwirklicht werden konnte. In früheren Zeiten wurde um Nachwuchs gebetet und es gab gewisse Orte, wie z. B. in Rom die Kirche des hl. Augustinus mit der „Madonna del parto“, die in solchen Fällen aufgesucht wurde.

Heute vertraut man hingegen mehr der Wissenschaft und wendet sich an sogenannte Kinderwunschzentren, die effektive Abhilfe versprechen. Es werden „Möglichkeiten der Therapie unter Einbeziehung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ angeboten, eine „persönlich zugeschnittene Therapieform,“ in die auch die eigenen „Wünsche und Vorstellungen“ einfließen.21 Dies klingt auf den ersten Blick wie eine wirkliche Alternative. Doch was genau geschieht eigentlich in solchen Kinderwunschzentren? Wie sieht eine solche Therapie aus?

An dieser Stelle kann auf die technischen Details nicht näher eingegangen werden, weil der Umfang dieses Beitrags dies nicht zulässt. Wohl aber sollen jene Punkte Erwähnung finden, die ein derartiges Verfahren für einen Christen inakzeptabel machen. Wie sich alsbald zeigt, geht es nämlich keineswegs bloß um eine Therapie, sondern um Eingriffe unterschiedlicher Art, die letztlich immer den Tod mehrerer Embryonen (= Personen) mit sich bringen.

Wie läuft eine künstliche Befruchtung ab? Nach einer eingänglichen Beratung und verschiedenen Gesprächen, in denen auch die Kostenfrage nicht selten eine Rolle spielt, muss sich die Frau – sollte sie sich für eine derartige „Therapie“ entscheiden – einer Hormonbehandlung unterziehen. Die Dosierung wird gewöhnlich individuell vorgenommen. Hormone steuern die Produktion der Eizellen in den Eierstöcken, lösen den Eisprung aus und unterstützen die Einnistung des Embryos. Durch eine hormonelle Stimulation soll das Heranreifen mehrerer Eizellen bewirkt werden, denn für die In-vitro-Fertilisation ist eine größere Anzahl von Eizellen notwendig. „Sowohl Hormonbehandlung als auch Eizellentnahme sind mit Risiken für die Frau verbunden. Eine mögliche Nebenwirkung der Hormonbehandlung ist das ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS).“22 Schließlich werden die Eizellen unter Narkose aus den Follikeln des Eierstocks abgesaugt. Die Entnahme der Spermien erfolgt in der Regel durch Masturbation, von welcher der Katechismus der Katholischen Kirche sagt: „Masturbation ist […] eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung.“23 Die mit der künstlichen Befruchtung verbundenen Prozeduren bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Paare. Manfred Spieker hat in einer Studie dargelegt, wie sehr die Beziehungsfähigkeit der Ehepaare darunter leidet, so dass „die Scheidungsrate bei Ehepaaren, die sich der künstlichen Befruchtung unterziehen […] mehr als doppelt so hoch ist wie bei anderen Ehepaaren.“24

Die Gewinnung qualitativ hochwertiger Eizellen und Spermien ist die Voraussetzung für die künstliche Befruchtung. Beide werden strenger Qualitätsprüfungen und -kontrollen unterzogen. Die Befruchtung findet dann In-vitro, also im Reagenzglas statt. Auf die unterschiedlichen Methoden, die dabei Verwendung finden, braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden.25 Nach der Befruchtung im Reagenzglas erfolgt wiederum eine Qualitätsprüfung, denn nur qualitativ hochwertige Embryonen werden in den Uterus der Frau transferiert. Die Übertragung geschieht gewöhnlich am fünften bis sechsten Tag, wenngleich auch vorher eine Übertragung möglich ist. Diese „Wartezeit“ ermöglicht dem medizinischen Personal, die Reifung des Embryos In-vitro zu beobachten und bessere prognostische Einschätzungen vorzunehmen. Auch dies führt zu einem höheren „Verbrauch“ von Embryonen, denn je später der Transfer stattfindet, umso höher die Verlustrate.

Nachdem zuvor dargelegt wurde, wer der Embryo ist, wird an dieser Stelle deutlich, warum die Kirche diese Verfahren als moralisch verwerflich verurteilt, denn sie implizieren immer die „willentliche Beseitigung von Embryonen.“26 Der Mensch zu Beginn seines Lebens wird zum Nicht-Menschen (Zellhaufen) deklariert, um derartige unmoralische Praktiken zu legitimieren. Die Kongregation für die Glaubenslehre stellt fest, dass die „Zahl der geopferten Embryonen“ „sehr hoch“ ist, sie spricht von mehr als 80 Prozent.27 Damit einher gehen andere schwerwiegende Probleme wie das Einfrieren von Embryonen (Kryokonservierung). Wie ist damit zu verfahren? Selbst die Glaubenskongregation findet keine Antwort darauf, sie bezeichnet daher dieses Verfahren an sich als „unvereinbar mit der Achtung, die den menschlichen Embryonen geschuldet ist.“28 Auch durch die Prozedur des Einfrierens und Auftauens werden Embryonen geschädigt und zerstört. Was aber passiert mit jenen Embryonen, die eingefroren sind und für die es keine Verwendung mehr gibt?

Bei dem zu Beginn genannten Beispiel wusste auch der betroffene Vater keine Antwort, wie mit den vermutlich verbleibenden neun Embryonen umzugehen sei. Gewöhnlich gibt es eine „Halbwertszeit“ für eingefrorene Embryonen, dazu kommen Mietkosten, die jeden Monat zu begleichen sind. Die Glaubenskongregation spricht von einer „schweren Ungerechtigkeit“ gegen das menschliche Leben, von einer faktisch irreparablen Situation, da es keinen gangbaren Ausweg gibt. Mit der In-vitro-Fertilisation verbinden sich noch weitere Problemfelder, wie die Embryonenreduktion (Fetozid). Sollten sich zu viele Embryonen im Uterus der Mutter einnisten, dann gibt es die technische Möglichkeit, die überschüssigen Embryonen durch selektive Abtreibung zu töten. Erschreckend hoch ist also die „Verlustrate“ an Embryonen, die jeder in Kauf nimmt, der sich einer In-vitro-Fertilisation unterzieht. Daher kam die Instruktion Donum vitae (1987) zu dem Ergebnis:

„in Übereinstimmung mit der traditionellen Lehre über die Güter der Ehe und die Würde der Person – bleibt die Kirche aus moralischer Sicht bei der Ablehnung der homologen In-vitro-Befruchtung; diese ist in sich unerlaubt und steht in Widerspruch zur Würde der Fortpflanzung und der ehelichen Vereinigung, selbst wenn alles getan wird, um den Tod des menschlichen Embryos zu vermeiden.“29

Konsequenterweise ist die Verwendung dieser Technik schwer sündhaft. Mehr noch, Kanon 1397 §2 des kanonischen Rechts kommt im Hinblick auf diese Technik eine besondere Bedeutung zu. Dort heißt es: „Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu.“30 Diese Nummer wurde, wie bereits zuvor erwähnt, durch Johannes Paul II. bekräftigt. Der Kirchenrechtler Markus Graulich SDB, Untersekretär des Päpstlichen Dikasteriums für Gesetzestexte, hat zu diesem Thema einen Artikel mit dem italienischen Titel „Fecondazione artificiale e diritto canonico“ veröffentlicht, der auch auf Deutsch unter dem Titel „Reproduktionsmedizin und Kirchenrecht“ erschienen ist. Er kommt zu dem Schluss, dass nach der authentischen Auslegung des Kanons dieser höchstwahrscheinlich auch für neue Techniken der künstlichen Befruchtung gelte, da sie notwendigerweise zur Abtreibung führen.31 Dieses Urteil dürfte auf der Grundlage dessen, was bisher dargelegt wurde, keineswegs als hart erscheinen. Vielmehr wird gerade dadurch die unantastbare Würde des Menschen zu Beginn seines Lebens respektiert und verteidigt. Die Instruktion Dignitas personae hebt noch weitere Aspekte hervor, die dieses weite Feld abrunden und zusätzlich Orientierung bieten, sie müssen bei der Anwendung medizinischer Verfahren Beachtung finden:

„a) das Recht jedes Menschen auf Leben und physische Unversehrtheit von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; b) die Einheit der Ehe, welche die gegenseitige Achtung des Rechtes der Eheleute einschließt, dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird; c) die eigentlich menschlichen Werte der Geschlechtlichkeit, die ‚erfordern, dass die Zeugung einer menschlichen Person als Frucht des spezifisch ehelichen Aktes der Liebe zwischen den Eheleuten angestrebt werden muss.‘“32

21 Vgl. das Kinderwunschzentrum Ceres in Berlin: https://www.kinderwunschzentrum.de/de/ [8.6.2022]. 22 Susanne Kummer, Künstliche Befruchtung (IVF) – eine Übersicht, 17.9.2017, in: https://www.imabe.org/imabeinfos/kuenstliche-befruchtung-ivf-eine-uebersicht [8.6.2022]. 23 KKK, 2352. 24 Manfred Spieker, Sozialethische Probleme des Lebensschutzes, in: Ders. (Hg.), Biopolitik. Probleme des Lebensschutzes in der Demokratie, Paderborn 2009, 23-38, hier 37. Weitere Details dazu in meinem Buch: Ralph Weimann, Bioethik, 86-95. 25 Grundsätzlich wird zwischen der In-vitro-Fertilisation (IVF) und der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) unterschieden. Vgl. ebd., 66-69. 26 DP, 14. 27 Vgl. ebd. 28 DP, 18. 29 DV, Teil 1, 6. Die homologe In-vitro-Fertilisation ist die Herbeiführung einer künstlichen Befruchtung durch die Verwendung der Spermien des Ehemannes; sie ist aus den geschilderten Gründen unannehmbar. Diese Probleme potenzieren sich, wenn Samen- und Eizellenspende (heterologe Insemination) oder Leihmutterschaft – wie im Beispiel zuvor geschildert – hinzukommen. Dazu vgl. ebd., Teil II, A.1-3. Dies wird bestätigt in: DV, 12. 30 CIC, 1397 §2. 31 Vgl. Markus Graulich, “Fecondazione artificiale e diritto canonico”, in: J. Pudumai Doss, G. Duc Dung Do (Hgs.), Schola Humanitatis, Famiglia e matrimonio nella legislazione ecclesiale, Roma 2016, 306-326. In deutscher Sprache: Vgl. Markus Graulich, Reproduktionsmedizin und Kirchenrecht, in: AKathKR 184 (2015), 57-81. 32 DP, 12.