Wandel als falsche Moderne

Die Moderne in der Familien- und Frauenpolitik wird dabei gerne und fälschlicherweise mit dem Wandel gleichstellt. Die irrige Annahme besteht im Denken: Je mehr Wandel, desto mehr Gleichberechtigung. Je mehr Aufbruch der Norm, umso moderner die Gesellschaft. Je größer die Liberalisierung der Gesetzgebung, umso erstrebenswerter der Zielpunkt, umso freier der Mensch, die Frau oder der Angehörige einer Minderheit. Die Schrankenlose Zukunft als letzte Utopie. Wandel wird also als positiver Fortschritt definiert. Festhalten an Tradition entsprechend als negativ gebrandmarkt. Als rückwärtsgewandt, veränderungsunwillig, altmodisch.

„Buntheit“, „Vielfalt“ und „Diversity“ sind das neue modern. Der Aufbruch bekannter und etablierter Familien-Strukturen, Geschlechter-Rollen, Normen, Systeme und Normalitäten wird per se als erstrebenswert definiert. Es zählt multinational und multikulturell statt traditionell. Neu statt alt. Aufbrechen statt Bewahren. Das verbale Framing hat über die Jahre aufgerüstet und diese Denkweise flankiert. So wird die traditionelle Familie medial-verbal zum „Auslaufmodell“ erklärt, obwohl alle europäischen Gesellschaften in absoluter Mehrheit unverändert in traditionellen Vater-Mutter-Kind Strukturen leben. Selbst der Begriff „Old Europe“ gilt als abfällige Wertung, und nicht als traditionsreiches Bollwerk gegen die Zumutungen ideologiebesetzter Forderungen nach Wandel.

Systemkonforme Differenz

Das Bestreben nach totaler Liberalisierung, Vervielfältigung und Gleichberechtigung von Lebensentwürfen steht dabei in krassem Widerspruch zu den nahezu totalitären Methoden, mit denen die angebliche Befreiung des Europäers aus seinen bekannten Lebens- und Denk-Strukturen hergestellt werden soll. Die Katalysatoren des Wandels sind zum Erreichen ihres Zieles in der Wahl der politischen Mittel wenig zaudernd: Die Reglementierung der Sprache und des Denkens durch Sprechverbote und Gender-Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch verschiedene EU-Länder. „Die Diversität lässt nur systemkonforme Differenzen zu. Sie stellt die konsumierbar gemachte Andersheit dar.“, formuliert der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han den schmalen Gedankenkorridor des modernen Menschen in seinem Buch „Die Austreibung des Anderen.“ Wir erlauben also einen ausgiebigen Diskurs innerhalb eines eng begrenzten, inhaltlichen Raumes. Das gaukelt den Bürgern eine Debatte vor, verbannt in Wahrheit aber jeden kritischen Einwand in den Bereich des Unsagbaren.

Entsprechend handelt es sich bei all dem nicht um einen normalen, unumgänglichen oder gar natürlichen Wandel, wie ihn Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte nun mal durchleben, sondern um die gezielte Durchsetzung von Veränderungspolitik.

Die jüdisch-christlichen Wurzeln Europas, das Festhalten am Christentum und seinen Traditionen haben sich in der Geschichte des europäischen Abendlandes als beständige Konstanten erwiesen. Die Früchte dieser Entwicklung sowieso. Rechtssysteme, Verfassungen, Aufklärung, Trennung von Staat und Kirche, der Sozialstaatsgedanke, aber auch die Idee von universellen, individuellen Menschenrechten, sind ein Erbe und eine Tradition innerhalb des EU-Raumes und können als Konstanten und auch als verbindendes Element nicht weggedacht werden. Selbst jene, die heute nicht mehr im religiösen Sinne in diesem Glauben vereint sind und auch jene, die einem anderen, als dem jüdischen oder christlichen Glauben anhängen, profitieren von diesem Erbe.

Reform zwischen Subsidiarität und Wettbewerb

Ohne die Klärung der Frage, welche europäischen Ziele man in der Frage der Demographie, der Familienpolitik oder auch der Rollenvorstellungen zwischen den Geschlechtern anstrebt, ist eine Neuorientierung aber gar nicht möglich.

Erste Aufgabe wäre also eine Klärung, wo es einheitliche Meinungen und Zielvorstellungen der Gesellschaftspolitik gibt und wie man sie faktisch umsetzen kann. Die Frage der demographischen, aber auch kulturellen Struktur der Bevölkerung Europas erscheint hier als zentraler Punkt vor allem auch in der Auseinandersetzung mit jüngeren und dynamischeren Kulturkreisen in Asien, Afrika und dem Nahen Osten. Es ist nicht nur sinnvoll, sondern möglicherweise existenziell, das Europa wieder in die Lage versetzt wird, seine Bevölkerungsstruktur in allen Mitgliedsstaaten aus eigener Kraft jung und dynamisch zu erhalten. In manchen Feldern der Kulturpolitik wird es aber in absehbarer Zeit keine inhaltliche Einigung geben, da sich die einzelnen Mitgliedsstaaten teilweise nahezu diametral gegenüberstehen. Dies betrifft vor allem Fragen des Familienrechtes, die Anti-Diskriminierungsgesetzgebungen, aber vor allem auch angesichts des medizinischen Fortschrittes die bioethischen Themen. Es müssten beispielweise tiefe Gräben überwunden werden, um die Abtreibungsgesetzgebung von Polen und den Niederlanden in Einklang zu bekommen.

In diesem Sinne sollte sich die Europäische Union von der Idee internationaler Standards im gesellschaftspolitischen Bereich verabschieden. Konkret sind die flächendeckende Legalisierung beispielsweise von Abtreibung, Homoehe, Leihmutterschaft oder auch Euthanasie als Ziel europäischer Gemeinschaftsstandards abzulehnen. Zumal die Zielrichtung derzeit nur in einem Vorwärts, nicht in einem Rückwärts gedacht wird, eine Vereinheitlichung also niemals durch eine Rückbesinnung, sondern immer nur durch progressive Veränderung erreicht werden soll.

Die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht die Legalisierung all dieser Dinge auf Nationalstaatseben und es gibt zu Recht kein Instrument, andere, fremde Staaten zu zwingen, die Uhr auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet zurückzudrehen. Dies souveräne Hoheitsgebiet steht allerdings auch jenen Ländern zu, die ihren gesellschaftlichen Wandel nicht vom Tempo fremder Gesellschaften abhängig machen wollen. Familienpolitik ist kein Wettlauf um den Zeitgeist. Die Subsidiarität muss wieder neu gedacht werden. Die Frage ist also nicht, was die Nationalstaatsregierungen und die Europäische Union regeln können. Stattdessen muss gefragt werden: Was soll der Staat lassen, was soll die EU lassen, damit es funktioniert?