Ostpolitik

Wandel durch Anbiederung

Hubertus Knabe geht in einem Gastbeitrag mit der Ostpolitik der 70er Jahre ins Gericht.
Willy-Brandt-Haus in Lübeck
Foto: Winfried Rothermel (imago stock&people) | Willy Brandt schaut aus einem Fenster-Collage am Willy-Brandt-Haus in Lübeck.

Es war ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art: Am 21. Dezember 1972 unterzeichnete Egon Bahr für die Bundesregierung den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Die SED bekam damit ihren Herzenswunsch erfüllt – dass Bonn ihr diktatorisches Regime als gleichberechtigt anerkennt.

Heftiger Widerstand von CDU und CSU

Bei CDU und CSU stieß der Vertrag auf heftigen Widerstand. Bayern rief sogar das Verfassungsgericht an. Mit dem Abkommen verzichte die einzige frei gewählte Regierung der Deutschen darauf, die unterdrückten Landsleute im Osten mit zu vertreten. Tatsächlich hatte sich die Bundesrepublik dazu verpflichtet, die Selbstständigkeit des SED-Staates „in inneren und äußeren Angelegenheiten“ zu respektieren. Die Klage wurde zwar abgewiesen. Doch das Gericht stellte fest, dass das Grundgesetz für alle Deutschen gelte und der Auftrag zur Wiedervereinigung bestehen bleibe.

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Der Richterspruch geriet bald in Vergessenheit, vor allem bei der SPD. Aus dem Konzept „Wandel durch Annäherung“ wurde zusehends eine Politik des „Wandels durch Anbiederung“. Für die nebulöse Sehnsucht nach Frieden ging die SPD 1982 sogar lieber in die Opposition. Fortan hofierten die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten den kommunistischen Diktator Erich Honecker, während die Jusos unter ihrem Vizechef Olaf Scholz forderten, den Ostdeutschen den Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Wenn es nach der SPD gegangen wäre, wäre Deutschland bis heute geteilt.

Die Neigung, sich um des lieben Friedens willen mit Diktatoren zu arrangieren, hat die SPD nie abgelegt. Ihre naive Russland-Politik ist ohne diese nicht zu erklären. Doch wie die Anbiederung bei Honecker ist auch die gegenüber Putin krachend gescheitert. Es ist an der Zeit, sowohl das eine als auch das andere kritisch aufzuarbeiten.


Der Autor war von 2000 bis 2018 Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

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