Kaum eine italienische Gegend hätte es so verdient wie Sizilien, bei Wahlen einen themenorientierten und auf die Defizite der Region konzentrierten Wahlkampf zu erleben wie Sizilien. Eine hohe Arbeitslosigkeit, besonders der Jugend, Korruption und Misswirtschaft, eine aufgeblähte öffentliche Verwaltung und mafiöse Strukturen halten die Insel am Boden, die trotz massiver finanzieller Unterstützung durch Rom ein Sorgenkind im Stiefelstaat bleibt. Aber kaum eine italienische Region war in der letzten Zeit so sehr Schauplatz für eine Testwahl wie jetzt in Sizilien, wo am Sonntag etwa 4,6 Millionen Einwohner zu den Urnen gerufen waren. Im Wahlkampf war es am Ende überhaupt nicht mehr um die Sorgen und Nöte der Bürger gegangen, sondern um einen Schlagabtausch der großen Parteien, die mit Blick auf die im kommenden Frühjahr zu Ende gehende Legislaturperiode die eigenen Schlachtreihen wie auch Bündnisse und Koalitionen erneuern müssen.
Und der Urnengang endete zwar nicht mit einer Überraschung, doch mit einem an Deutlichkeit kaum zu überbietenden Signal an das ganze Land: Die von Matteo Renzi geführte Mitte-Links-Partei „Partito democratico“ (PD) musste eine herbe Niederlage einstecken und endete, in zwei politische Formationen aufgesplittert, auf den Rängen drei und vier. Und der klare Sieger heißt Silvio Berlusconi, der eine Koalition seiner „Forza Italia“ mit der „Lega Nord“ von Matteo Salvini und den aus den aus ehemaligen Faschisten hervorgegangenen und von Giorgia Melloni geführten „Fratelli d'Italia“ – das sind die ersten Worte der italienischen Nationalhymne“ – auf Platz eins katapultieren konnte. Und das nach einem fünfjährigen Niedergang seiner politischen Formation, in der viele ehemalige Mitstreiter den einstigen Medien-Zar und mehrfachen Ministerpräsidenten verlassen haben. Totgesagte leben eben länger.
Auch für die Protest-Bewegung der fünf Sterne des ehemaligen Komikers Beppe Grillo war die Wahl vom Sonntag ein wichtiger Test. Sie will im kommenden Frühjahr stärkste politische Kraft im Lande sein und mit dem jungen Luigi Di Maio den kommenden Regierungschef Italiens stellen. Aber jetzt in Sizilien reichte es nur für Platz zwei, hinter der Rechts-Koalition Berlusconis. Der ist nun wirklich ein Phänomen. 81 Jahre ist er mittlerweile alt. Als er im Sommer 2013 wegen Steuerbetrugs rechtskräftig verurteilt und infolgedessen mit einem Verbot der Bekleidung öffentlicher Ämter belegt wurde, schien seine politische Karriere endgültig beendet zu sein. Gesundheitliche Probleme kamen hinzu, der Milliardär verbrachte Wochen in einer Herzklinik in den Vereinigten Staaten. Jetzt ist er wieder da – als „graue Eminenz“ des rechten Lagers. Und wenn er nicht wüsste, dass die Zeit, nochmals für den Posten des Ministerpräsidenten zu kandidieren, endgültig abgelaufen ist, so würde er auch das nochmals in Angriff nehmen und mit Wonne wieder auf dem internationalen Parkett auflaufen, von dem ihn vor Jahren – nicht zuletzt mit starker Beteiligung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und des Französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy – die europäischen Partner vertrieben haben. Das waren die Zeiten von „Bunga Bunga“. Die Italiener haben ihm das verziehen – beziehungsweise nie so recht übel genommen.
Trotzdem müssen die sizilianischen Wahlbürger geahnt haben, dass das Schaulaufen der politischen Spitzen des Landes auf ihrer Insel eher ein Warmlaufen für die Nationalwahlen im kommenden Frühjahr war: Die Wahlbeteiligung lag jetzt bei unter fünfzig Prozent – ein Negativrekord. Die eigentlichen Spitzenkandidaten, Nello Musumeci für die Rechts-Koalition, Giancarlo Cancelleri für die „Bewegung der fünf Sterne“ und Fabrizio Micari für den PD hatten kaum Gelegenheit, sich als politische Führer zu profilieren. Zudem spiegelte der Wahlauftritt des PD-Mannes Micari die Zerrissenheit der Partei Matteo Renzis wider: Links neben ihm hatte sich noch Claudio Fava positioniert und luchste seinem Mitkonkurrenten im linken Lager knapp zehn Prozent der Stimmen ab. Seitdem Renzi im Dezember vergangenen Jahres das Referendum über die Verfassungsreform verloren hat und als Ministerpräsident abtreten musste, ist das linke Lager gespalten: Der ehemalige Parteichef Luigi Bersani gründete eine links außen stehende Splitterpartei, die viel Aufmerksamkeit bei dem Medien findet, weil sie den ganzen Unmut über den als arrogant empfundenen Renzi bündelt, dem zudem vorgeworfen wird, eher in die „Forza Italia“ Berlusconis zu passen als in eine Linkspartei, in der einmal die Ex-Kommunisten wie Luigi Bersani oder Massimo D'Alema das Sagen hatten.
Wie soll es also nach diesem sizilianischen Rechtsruck weitergehen in einem Land, das aufgrund der Wahlergebnisse von 2013 immer noch von der PD geführt wird, aber in dem sich im Frühjahr 2018 die politisch Kräfte ganz neu sortieren werden? Noch führt das Dreigestirn aus Ministerpräsident Paolo Gentiloni, Innenminister Marco Minniti und Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan mit dem Segen von Parteichef Renzi die politischen Geschicke des Landes. Aber die Sizilien-Wahl hat jetzt die Rechte unübersehbar gestärkt.