Streit um Spaniens Erinnerungskultur

In Alicante streiten Sozialisten und Christdemokraten über die Umbenennung von Straßen und Plätzen. Von Michael Ludwig
Foto: dpa | Mitglieder der Linken Partei Kastiliens auf dem Reiterstandbild von Franco in Madrid, das sie zuvor mit roter Farbe übergossen.
Foto: dpa | Mitglieder der Linken Partei Kastiliens auf dem Reiterstandbild von Franco in Madrid, das sie zuvor mit roter Farbe übergossen.

Die Stadtverwaltung der spanischen Stadt Alicante vergibt derzeit eine Menge Renovierungsarbeiten, einmal werden die Straßenschilder abgenommen und durch neue ersetzt, dann macht man das Ganze wieder rückgängig und die Straßen heißen wieder so, wie sie die letzten Jahre schon immer geheißen haben. Chaos in der Administration? Beileibe nicht. Es handelt sich vielmehr um einen Fall von Politik, einer Politik allerdings, deren Erfahrungen und Auswirkungen tief im kollektiven Gedächtnis der Spanier verankert sind und deshalb Emotionen heraufbeschwören, die noch immer hochschlagen.

Der Stadtrat Alicantes hatte beschlossen, 46 Straßen und Plätze, deren Namen einen Bezug zur Diktatur Francos aufweisen, umzubenennen. Rechtliche Grundlage für diesen Schritt ist das „Gesetz zur historischen Erinnerung“, das im Madrider Parlament im Oktober 2007 mit einer linken Mehrheit verabschiedet wurde. Es schreibt unter anderem vor, dass Straßennamen, Denkmäler und Gedenktafeln entfernt werden müssen, die an Franco oder dessen Gefolgsleute erinnern. Die damalige Opposition stimmte diesem Passus nicht zu, denn sie befürchtete, dass alte Gräben wieder aufgerissen werden könnten.

„Wir haben“, so argumentierte die Führungsspitze der konservativen Volkspartei (PP), „den Übergang von der Diktatur zur Demokratie nur deshalb geschafft, weil beide Bürgerkriegsparteien darüber eingekommen sind, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Dies sollte auch so bleiben.“ Doch die Linke war nicht dazu bereit, den blutigen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 und die sich anschließende autoritäre Herrschaft des Caudillo bis 1975 einfach zu vergessen. Die Zahlen sind in der Tat erschreckend: Rund eine halbe Million Menschen verloren während der Kämpfe, die teilweise mit großer Härte ausgetragen wurden, ihr Leben. Franco und seine Gehilfen richteten während und nach dem Krieg rund 150 000 Republikaner hin, während auf der anderen Seite Anarchisten und Kommunisten rund 60 000 Franco-Anhänger füsilierten, darunter Tausende von Geistlichen.

Diese traumatische Erfahrung hat sich tief in die spanische Seele eingegraben. Noch heute stehen sich das linke und rechte Lager weitgehend unversöhnlich gegenüber. Eine Koalition, wie sie in vielen Ländern zwischen Sozialisten und Christdemokraten durchaus üblich ist, ist im Spanien von heute noch immer undenkbar.

Durch einen juristischen Verfahrensfehler der linken Stadtverwaltung von Alicante erreichte die PP, dass die Umbenennung der Straßen vorübergehend gestoppt wurde. Es wurde seitens der Konservativen nicht nur bemängelt, dass man bestimmte Körperschaften einfach übergangen hatte, sondern sie erklärten sich auch mit der einen oder anderen Straßenumbenennung nicht einverstanden. Zum Beispiel mit der von Leopoldo Calvo Sotelo, einem konservativen Politiker, der 1981/82 Ministerpräsident Spaniens war. Die PP fragt sich, warum diese Straße künftig nicht mehr so heißen darf, besteht dessen einzige politische Verfehlung in ihren Augen doch nur darin, zwischen 1971 und 1975 Mitglied des Parlaments gewesen zu sein, in einer Zeit also, als Franco noch regierte.

Besonderes Augenmerk richteten die spanischen Medien auf die Umbenennung der „Plaza de la Division Azul“, die von der Stadt in „Plaza de la Igualidad“ (Platz der Gleichheit) umgetauft wurde, und nach dem Widerspruch der PP wieder ihren alten Namen trägt, den der „Blauen Division“. Die Vizepräsidentin des Stadtrats, Mónica Oltra, erklärte, sie frage sich, warum die PP „es vorziehe“, den Namen der Blauen Division zu unterstützen, „die Komplizin des Nazi-Regimes war“, statt sich für die Bezeichnung „Gleichheit“ einzusetzen. Sprecher der konservativen Volkspartei wiesen diesen Vorwurf empört zurück und nannten ihn Demagogie. Die Stadtverwaltung von Alicante hat sich nun an das nächst höhere Gericht in Valencia gewandt, um die Verfügung über den Stopp der Straßenumbenennung rückgängig zu machen und die 46 Straßen und Plätze doch noch mit neuen Namen versehen zu können.

Für viele Spanier ist die „Division Azul“ keineswegs vergessen. Während des Zweiten Weltkriegs rekrutierte Franco rund 18 000 Freiwillige, die er der deutschen Wehrmacht für den Russlandfeldzug zur Verfügung stellte. Er revanchierte sich damit für die Unterstützung des Dritten Reichs im spanischen Bürgerkrieg, das ihm die Legion Condor zur Hilfe geschickt hatte. 1943 zog Franco seine Truppen zurück, weil er fürchtete, die Alliierten könnten nach ihrer Landung auf Sizilien auch die Iberische Halbinsel ins Visier nehmen, weil Madrid die Deutschen unterstützte.

Während in Alicante die Auseinandersetzung um die Erinnerungskultur tobt, herrscht in der spanischen Hauptstadt diesbezüglich relative Ruhe. Das mag zum einen daran liegen, dass im Zentrum der politischen Macht andere Probleme zu lösen sind, aber auch daran, dass die sozialistische Vorgängerregierung unter José Rodriguez Zapatero schon eine Reihe von franquistischen Spuren eingeebnet hat. Nach Angaben der linksliberalen Tageszeitung El Pais haben die Sozialisten von den insgesamt 705 katalogisierten Symbolen der Diktatur, die eine Expertenkommission ausgewählt und damit zur Entsorgung freigegeben hat, 570 aus dem Straßenbild verschwinden lassen. Die gegenwärtige konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy – sie ist immerhin schon seit sechs Jahren im Amt – hat diesbezüglich noch keinen Finger gerührt. Auf eine entsprechende Anfrage im Senat erklärte die Regierung, dass die Verfahren relativ viel Zeit benötigten und hohe Kosten verursachen würden.

Eine weitere Umbenennung eines öffentlichen Platzes ist aus Barcelona zu melden. Dort entschied sich das Rathaus, die „Plaza de la Hispanidad“ (Platz der spanischen Welt) in den Pablo-Neruda-Platz umzubenennen. Offiziell wurde dies mit der Zusammenlegung eines anderen Platzes begründet, aber der wäre ein Schelm, der Böses dabei denkt, möglicherweise sogar politisches. Die katalanische Hauptstadt lässt keine Gelegenheit aus, im Rahmen ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen Madrid, das für Barcelona das Sinnbild der spanischen Seele ist, zu ärgern – und sei es nur durch die Aberkennung des Namens eines Platzes.

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