Narendra Modi in Siegerpose: Der Regierungschef Indiens – neuerdings in alter Sanskrit-Bezeichnung „Bharat“ genannt – hat triumphiert. Einerseits hat beim G20-Gipfel in Neu Delhi niemand die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin, vermisst, andererseits wurde eine lange und monatelang ausverhandelte Erklärung einstimmig verabschiedet.
Der radikal-hinduistische Führer des bevölkerungsreichsten Landes der Welt hat ohne – und damit gegen – den großen chinesischen Konkurrenten einen Prestige-Erfolg erzielt. Mit der Aufnahme der Afrikanischen Union in die edle G20-Runde hat er zudem einen Punkt beim sogenannten „globalen Süden“ gemacht. Modi kann mit seinem G20-Vorsitz also ganz zufrieden sein.
Man macht sich erpressbar
Alle anderen jedoch dürfen darüber nachdenken, wie tragfähig dieses Format noch ist. Wenn das weltpolitische Thema Nummer Eins ausgespart bleibt, damit überhaupt eine einstimmige Abschlusserklärung zustande kommt, wenn der Vorsitzende aber alles außer Einstimmigkeit ablehnt, dann macht man sich erpressbar – und wird logischerweise auch erpresst: Russlands Außenminister Lawrow ist darauf spezialisiert.
Die Ukraine wird darum in der Erklärung nicht einmal erwähnt. Der wachsweiche Aufruf, „die Grundsätze internationalen Rechts inklusive der territorialen Integrität und Souveränität aufrecht zu halten“, kann von jedem nach Belieben (miss-)interpretiert werden. Im dialektischen Spiel der Worte und ihrer ideologischen Neudeutung hat das orwellsche System Putin viel mehr Routine als die Ukraine, die entsprechend frustriert auf G20 reagierte.
Nein, mit dieser Abschlusserklärung ist das G20-Format keineswegs zu einem geopolitischen Spieler aufgestiegen, wie manche Kommentatoren meinen. Es bleibt – wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – ein Spielball rivalisierender Mächte.
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