Damit hatte kaum jemand mehr gerechnet, am wenigsten wohl die Simbabwer selbst: Noch vor dem Tod des 92-jährigen Staatspräsidenten und Langzeitdespoten Robert Mugabe hat sich eine ernst zu nehmende Protestbewegung gegen das herrschende Regime in Simbabwe formiert.
Drei Tage stand die Wirtschaft des südafrikanischen Landes in vielen Bereichen still, nachdem Evan Mawarire, ein protestantischer Pastor, über face book zu einem Generalstreik aufgerufen hatte. Mawarire ist der neue Hoffnungsträger der simbabwischen Protestbewegung.
Über das Internet hat er in den vergangenen Wochen immer mehr Anhänger gewonnen. Mehr als eine Million sollen es inzwischen sein. Es scheint, als habe die simbabwische Gesellschaft – rund 14 Millionen Menschen – auf einen Mann wie Mawarire geradezu gewartet. Und es zeigt sich, welche Kraft die virtuelle Vernetzung auch in Afrika inzwischen entfalten kann.
Katholiken begegnen dem Staat mit Misstrauen
Obwohl die seit Jahren andauernde wirtschaftliche Krise in Simbabwe bereits etwa drei Millionen junge Menschen ins Exil nach Südafrika, Australien, Neuseeland oder Großbritannien getrieben hat, obwohl die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Mais, Zucker und Öl selbst in den ländlichen Regionen immer schlechter wird, obwohl die simbabwischen Ersatzwährung, der südafrikanische Rand, immer mehr an Wert verliert – bislang hat kein Simbabwer es gewagt, gegen den allmächtigen Staatspräsidenten öffentlich aufzubegehren.
Zu tief sitzt die Angst vor Konsequenzen für Leib und Leben. Wenn eine staatliche Einrichtung überhaupt noch funktioniert in Simbabwe, dann sind es die Sicherheitsbehörden und die paramilitärischen Milizen der Staatspartei ZANU PF. „Wer als Mugabe-Kritiker in ihre Fänge gerät, muss mit dem Schlimmsten rechnen, denn ein zentraler Stützpfeiler des Systems Mugabe ist Gewalt.“
„Nur durch Einschüchterung kann sich Mugabe an der Macht halten“, sagt der simbabwische Publizist und Sprecher der regionalen Bischofsversammlung für das südliche Afrika, Oskar Wermter SJ, im Gespräch mit der „Tagespost“. Wermter ist eine der wenigen einheimischen Stimmen, die es wagen, die Missstände und das Staatsversagen in Simbabwe deutlich zu benennen.
Hinter vorgehaltener Hand wird aber schon lange über die Nachfolge des greisen, aber vielfach noch immer beliebten Staatschefs spekuliert. „Es ist nicht auszuschließen, dass das Land, was früher Kornkammer Afrikas genannt wurde, nach Mugabes Tod ins Chaos stürzt“, sagt Wermter. „Es gibt mehrere Fraktionen in Partei und im Staatsapparat, die um die Mugabe-Nachfolge konkurrieren. Bislang gibt es aber keine Gruppe, die eine Führungsrolle übernommen hat. Nicht auszuschließen, dass es zu einem Machtkampf kommt, der mit Gewalt und Blutvergießen verbunden ist.“ Erforderlich seien, so Wermter, politische Bildung auf breiter Ebene. Es gehe darum, für eine neue Haltung zu werben, für ein neues Gefühl der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Die staatliche Elite habe über Jahre genau das Gegenteil vorgelebt: Sie stehe für Gewalt, Korruption und Misswirtschaft in unerträglichem Ausmaß.
Aber auch auf kirchlicher Seite müsse sich ein neues Bewusstsein entwickeln. Die Haltung vieler Katholiken in Simbabwe – etwa zehn Prozent der Bevölkerung – gegenüber dem Staat sei sehr oft von tiefem Misstrauen bis hin zur offenen Ablehnung geprägt, berichtet der Ordensgeistliche. Das überrasche angesichts der bestehenden Machtverhältnisse nicht, sei aber eine schlechte Ausgangslage für den möglichen Neubeginn, an dem Katholiken mit ihren Werten und Tugenden unbedingt mitwirken sollten.
„Wir hätten viel einzubringen in den Neuaufbau des Staates“, hebt Wermter hervor. Zwar habe die Kirche in den vergangenen Jahren ein pragmatisches Verhältnis zum Regime Mugabe finden müssen, um nicht die eigene Existenz zu gefährden, doch dürfe dies nicht bedeuten, die Chance auf ein Mitwirken beim „notwendigen Wandel“ verstreichen zu lassen.
Seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dem Jahrzehnt des simbabwischen Befreiungskampfes gegen das rhodesische Apartheidsystem, trainieren kirchliche Entwicklungseinrichtungen wie das von Jesuiten geführte Entwicklungszentrum Silveira House Führungskräfte aus allen Teilen der Gesellschaft in demokratischer Staatsbürgerkunde. Nach dem Ausscheiden Mugabes käme die Bewährungsprobe für die Absolventen, so Wermter.
Eine organisierte Opposition hat sich nicht entwickelt
Doch von wo sollten Impulse für einen positiven Wandel kommen? Diese Frage blieb bislang unbeantwortet. Eine organisierte Opposition im Ausland hat sich bislang nicht entwickelt. Simbabwes Nachbarländer, allen voran das mächtige Südafrika, stehen weiter hinter Mugabe. Und die Sanktionen der Europäischen Union gegen einzelne Führungskräfte des Regimes haben sich als wirkungslos erwiesen. Auch China als mächtiger Handelspartner Simbabwes würde sich nie für einen demokratischen Wandel in Simbabwe einsetzen. Übrig bleibt das Volk.
Mit Pastor Evan Mawarire hat es offenbar ein Sprachrohr gefunden, das die weitverbreitete und wachsende Unzufriedenheit mit den Herrschenden zum Ausdruck bringt. Kein Wunder, dass das Regime jetzt alles daransetzt, Mawarire mundtot zu machen.
Jedoch scheiterte eine Anklage wegen subversiver Agitation am vergangenen Mittwoch vor Gericht. Zahlreiche Unterstützer hatten sich vor dem Gerichtssaal versammelt. Der BBC sagte Mawarire: „Lasst alle Arbeit ruhen und der Regierung damit eine Botschaft senden, dass genug genug ist, dass wir Wandel in sehr einfachen Angelegenheiten brauchen. Und dass unser gewaltfreier Protest den Gesetzen unseres Landes entspricht. Jeder Simbabwer, der nicht mitmacht, beraubt uns der Chance zu zeigen, wohin sich unser Land entwickeln sollte.“
Es bleibt abzuwarten, ob die neue Protestwelle Kraft entfaltet, dem Land einen gangbaren Weg aus der Krise zu zeigen.