Sexualaufklärung in den Kitas

Das Jugendamt Stuttgart plant die Neuauflage bedenklicher Broschüren zur Sexualaufklärung. Von Sebastian Krockenberger
Foto: dpa | Kinder werden fehlgeleitet, wenn die Sexualaufklärung in Baden-Württemberg greift.
Foto: dpa | Kinder werden fehlgeleitet, wenn die Sexualaufklärung in Baden-Württemberg greift.

Das Jugendamt Stuttgart plant die Neuauflage von Broschüren zur Sexualaufklärung in Kindergärten und Kitas. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass in Baden-Württemberg seit über zwei Jahren ein erbitterter Kampf tobt, der sich an der Frage entzündet hat, welchen Raum Sexualität in der Schule haben soll. Die Landesregierung wollte im Unterricht die Akzeptanz sexueller Vielfalt fest verankern. Sie verspricht sich davon weniger Diskriminierung. Die Gegner werfen der grün-roten Landesregierung vor, die Kinder so zu verwirren und zu sexualisieren.

Die Broschüren des Jugendamtes Stuttgart zeigen, welch breiter Raum bereits heute der Sexualität von öffentlichen Stellen eingeräumt wird. Im September und Oktober 2012 wurde die Broschüre „Mädchen und Jungen zwischen Körpererleben, Entdeckungslust und Grenzverletzungen“ fertiggestellt. Ergänzt wird sie durch eine Broschüre mit „Beispielen aus der Praxis“. Beide sind Teil eines Konzeptes, zu dem auch Beratungsangebote für Eltern und Erzieher gehören.

Auffällig am Inhalt beider Broschüren ist die Vermischung verschiedener Aspekte. Einiges von dem Dargestellten gehört in den Bereich der normalen Entwicklung der Sinne und Bewegungsabläufe, anderes ist eine Überakzentuierung des Sexuellen. Da die Broschüren von beiden Ansätzen geschickt durchsetzt sind, fällt eine Beurteilung und Kritik schwer. Eine Kritik muss daher von einigen grundsätzlicheren Punkten her entwickelt werden.

Die beiden Broschüren beruhen auf der Annahme von Sexualität als Lustgewinn, die durch „sexuelle Bildung“ gefördert werden muss. Dieser von den Sexualpädagogen Helmut Kentler, Uwe Sielert und Karlheinz Valtl in die Welt gesetzte Bildungsbegriff führt eine Konzeption von Sexualität mit sich, die heutigen integrativen Theorien menschlicher Entwicklung widersprechen. Gleichzeitig wird so Sexualität als eigener „Bildungsinhalt“ für das Kind isoliert von den sonstigen Entwicklungsdimensionen der Kindheit betrachtet.

Die angewandte Entwicklungstheorie und die Fallbeschreibungen suggerieren, dass Kinder nach Sexualität streben. Hier wird nicht differenziert zwischen dem Thema „Lust“, Körperentdeckung, neurologisch-sensorischer Organisation, der Erlernung von Körperbeherrschung und nach Befriedigung strebenden sexuellen Handlungen. Darüber hinaus bedient sich die Entwicklungstheorie der Broschüren alter Konzepte, wie Freuds psychosexueller Entwicklung, die zwar nicht explizit genannt wird, aber hinter der dargestellten oralen, analen und genitalen Betätigung des Kindes hervorscheinen. Diese Theorie ist grundsätzlich nicht empirisch und innerhalb der Psychologie und Psychoanalyse weitgehend durch Bindungsforschung oder Säuglingsforschung abgelöst. In den Fallbeschreibungen wird gleichzeitig von einer Regelmäßigkeit sexueller Handlungen ausgegangen, die so in Feldbeobachtungen und zurückschauenden Untersuchungen für das Kindesalter nicht nachgewiesen werden können.

Insgesamt wird von seriellem, sexuellem Handeln bei Kindern ausgegangen. Dieses sexuelle Handeln ist bei Kindern aber bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Sicher gibt es beobachtete Einzelphänomene. Doch dort, wo wir Kinder mit regelmäßigen sexuellen Handlungen beobachten, beobachten wir gleichzeitig Impulskontrollstörungen, Bindungskonflikte und anderes auffälliges Verhalten. Also Kinder, die sich regelmäßig sexuell betätigen, liegen entweder im Promillebereich oder sind verhaltensauffällig. Soviel kann mit Längsschnittuntersuchungen belegt werden. Der ganze dargestellte Ansatz interpretiert daher Sexualität in kindliche Handlungen hinein, die gar nicht erforscht sind. Dort, wo die Broschüren von wissenschaftlichen Erkenntnissen sprechen, befinden sie sich gerade nicht auf diesem Boden. Denn man weiß über kindliche Sexualität so gut wie nichts und beobachtet schon gar keine serielle sexuelle Aktivität beim Kind.

Verhängnisvolle Ausbildung sexueller Gewohnheiten

Auch werden lerntheoretische Aspekte und die Entstehung von sexuellen Gewohnheiten zu wenig beachtet. Kinder erleben eigenes genitales Empfinden verbunden mit ihrer Körperlichkeit und der Her-ausbildung von Kerngeschlechtlichkeit als tragenden Teil einer Gesamtidentität als Frau und als Mann. Löst man sexuelle Phänomene, wie genitale Erforschung, Förderung von sexueller Stimulation, aus dem Gesamtzusammenhang, so bildet sich ein Wahrnehmungsfokus, in dem zu früh der Zusammenhang von Sexualität, sexueller Erregung und Körper betont wird, was zur Herausbildung von sexuellen Gewohnheiten führt, in dem nicht mehr Körper, Geschlecht, Mann, Frau und Liebe miteinander verbunden sind, sondern nur noch Körper, sexuelle Erregung und individuelle Befriedigung. Die Herausbildung des Zusammenhangs „Sexualität, Partnerschaft, Liebe“ kann vom Kind aber erst langsam ab dem neunten Lebensjahr begriffen werden. Das bedeutet, diese einseitige Akzentsetzung wird die Herausbildung einer paarbezogenen und fortpflanzungsorientierten Sexualität behindern.

Bei der körperlichen Berührung zwischen Kindern und Erwachsenen wird zwar einerseits eine Grenze behauptet, andererseits finden sich in den Broschüren Formulierungen, aus denen gelesen werden kann, dass ein Erwachsener dann mit einem Kind sexuell handeln kann, wenn das Kind ihn dazu freiwillig einlädt. Auch wenn dies sehr diffus geschieht, so sind solche zweideutigen Formulierungen inakzeptabel und haben in einer pädagogischen Broschüre nichts zu suchen.

Die Broschüren werden nicht nur innerhalb der städtischen Kitas zur Sexualaufklärung verwendet, sondern werden in Stuttgart auch von Sexualberatern, die an Kindergärten gehen, verwendet. Neben diesen Broschüren verteilt das Jugendamt auch die Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung„Liebevoll begleiten“. Sie ist die Nachfolgebroschüre von „Körper, Liebe, Doktorspiele“, die aufgrund übergriffiger Inhalte zurückgezogen werden musste.

Das Jugendamt Stuttgart plant nun eine Neuauflage seiner beiden Broschüren. In der Neuauflage soll die erste Broschüre unverändert bleiben, in der zweiten Broschüre, die Beispiele aus der Praxis bringt, soll es kleine Anpassungen geben. Die Fragen drängen sich auf, warum überhaupt in den Kitas und Kindergärten Sexualaufklärung stattfinden soll und warum die Kinder so zur erotischen Aktivität angeregt werden sollen. Sind sexuelle Empfindungen nicht viel zu intim, als dass sie in einer Kita oder einem Kindergarten thematisiert werden sollten? Reicht es nicht aus, die einzelnen in dieser Hinsicht auffälligen Kinder direkt anzusprechen, ohne aus Sexualität und Erotik ein Breitenthema in Kitas und Kindergärten zu machen? Denn die Sexualisierung der Kinder und die Banalisierung von Sexualität kann nicht Erziehungsziel sein. Sexualpädagogik bedarf der Eingrenzung. Nicht alles, was Kinder wahrnehmen oder aus Neugierde tun, kann Ausdruck sexueller Lust sein. Von Seiten der Landesregierung wird immer wieder behauptet, sie habe nicht die Sexualisierung der Kinder zum Ziel. Die Broschüren des Jugendamtes Stuttgart zeigen, dass eine solche Sexualisierung der Kinder jedoch absichtlich stattfindet und dass dies zu einer Verwirrung der Kinder führt.

Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Theorien ist nötig, die hinter diesen Broschüren stehen. So laden die Organisatoren der „Demo für alle“ am 23. Januar 2016 zu einem Symposium in die Stuttgarter Liederhalle. Unter dem Titel „Gender und Sexualpädagogik auf dem Prüfstand der Wissenschaften“ werden fünf renommierte Wissenschaftler aus Biologie, Medizin, Sexualwissenschaft, Germanistik und Philosophie zu einem breiten Publikum interessierter Bürger sprechen.

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