Britischer Premier

Rishi Sunak: Ein Hindu in der Downing Street

Manche sprechen schon einer „Tory-Hindu-Revolution“: In dem politischen Aufstieg von Rishi Sunak spiegelt sich wider, welche Bedeutung die hinduistische Minderheit mittlerweile in Großbritannien spielt. Sie gilt als besonders gut integriert und auch wirtschaftlich erfolgreich.
Rishi Sunak, neue Premierminister
Foto: Stefan Rousseau (Press Association) | Der neue Premierminister vor seinem Amtssitz: Rishi Sunak.

Es war ein Zufall, aber ein symbolträchtiger: Just an dem Tag, als Rishi Sunaks Aufstieg zum Premierminister bekannt wurde, feierten Hunderttausende Hindus auf der Insel das Diwali-Lichterfest. In London knallten spätabends schon die Feuerwerkskörper, sie sollen den Sieg des Lichts über die Dunkelheit symbolisieren. Viele britische Hindus haben vergangene Woche aus doppelter Freude gefeiert.

Der erstaunliche Aufstieg Sunaks, eines Sohns einfacher indischer Einwanderer, zum Anführer der Konservativen Partei und sein Einzug in die Downing Street sind auch deshalb bemerkenswert, weil nun erstmals ein Hindu Regierungschef Großbritanniens geworden ist. Noch vor einigen Jahrzehnten hätte man das für kaum möglich gehalten, dass Indischstämmige bei den Konservativen so blitzschnell hochkommen würden. Manche sprechen schon von einer „Tory-Hindu-Revolution“, weil eine ganze Reihe prominente Tory-Politiker auf der Insel inzwischen Hindu-Hintergrund besitzen.

Der schwerreiche ehemalige Hedgefondsmanager Sunak, erst 42 Jahre alt, der erst 2015 in die Politik ging, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein praktizierender Hindu ist. Er isst kein Rindfleisch, er betet regelmäßig mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern und begeht die hohen hinduistischen Festtage. Als Kind ging Sunak mit seiner Familie jedes Wochenende in den Vedic Society Hindu Temple in der Hafenstadt Southampton, wo er aufwuchs.

Ein Barack-Obama-Moment

Sein Großvater hatte diesen Tempel vor 50 Jahren mitgegründet. Es ist ein einfaches kleines Backsteinhaus, von außen völlig unscheinbar. Innen stehen ein vielfarbiger Altar mit einer Ganesha-Figur, einer Gottheit in Elefantenform, sowie Statuen von Krishna und Radha. Der Vorsteher des Tempels, ein Mann namens Sanjay Chandarana, bejubelt Sunaks politischen Aufstieg nun als „Großbritanniens Barack-Obama-Moment“. Die ganze hinduistische Gemeinschaft auf der Insel sei unglaublich stolz. „Sie denken, er ist der Eisbrecher.“ In einem Telefonat richtete Ministerpräsident Narendra Modi Sunak die „besten Wünsche im Namen von 1,6 Milliarden Indern“ aus. Medien auf dem Subkontinent haben die Entwicklung an der Themse gefeiert. Die alte Beziehung Indiens mit London habe sich fast umgekehrt, meinen einige. Ausgerechnet ein Nachfahre indischer Auswanderer regiere nun die frühere Kolonialmacht. Ein Ex-Gouverneur des Bundesstaates Bihar sprach da sogar nun von „der Rache der Geschichte“.

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In der linksliberalen englischen Zeitung „The Guardian“ notierte der britisch-indische Autor Mihir Bose, wie noch in der Churchill-Zeit in der Konservativen Partei ein regelrechter Hass auf Hindus üblich gewesen sei. Churchill habe sie als „üble Rasse“ bezeichnet und sich Bomben auf die aufmüpfigen Inder gewünscht. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 zog eine erste große Welle von Hunderttausenden Migranten los, die in den 1950ern vor allem in die nordenglischen alten Industriestädte zogen und von den Gewerkschaften politisch sozialisiert wurden. Über Jahrzehnte wählte die Mehrheit dieser Immigranten aus der Ex-Kolonie Labour.

Eine zweite Migrationswelle kam aus Ostafrika. Dort hatten die Briten in den Tagen des Empire einige hunderttausend Indischstämmige angesiedelt, die als Händler und Geschäftsleute recht erfolgreich waren. Nach der Unabhängigkeit von Kenia, Tansania und Uganda wurde das Klima gegen sie sehr feindselig, in Uganda kam es unter Idi Amin zu brutaler politischer Verfolgung. Daher entschieden sich viele in den 1960ern zur Auswanderung nach Britannien – so auch Sunaks Großeltern und Eltern, die aus Kenia und Tansania nach Südengland zogen.

Kulturell-religiöser Spagat ist für ihn kein Problem

Sunaks Vater praktizierte in Southampton als Allgemeinarzt in einem schwierigen Viertel, seine Mutter baute eine kleine Apotheke auf. Der zweitgeborene Sohn arbeitete im Laden mit. Am Wochenende ging er in den Tempel und feuerte im Fußballstadion den lokalen Southampton FC (Spitzname „The Saints“) an. Sunak sagt, der kulturell-religiöse Spagat sei für ihn kein Problem. „Ich bin durch und durch britisch, dies ist meine Heimat und mein Land, aber mein religiöses und kulturelles Erbe ist indisch, meine Frau ist indisch, ich bin offen Hindu“, sagte er 2015, als er erstmals ins Parlament gewählt wurde.

Seine Ehefrau ist eine Tochter des Selfmade-Milliardärs N. R. Narayana Murthy, des Gründers des IT-Konzerns Infosys. Zur üppigen Hochzeitsfeier in Indien strömten mehr als tausend geladene Gäste. In Sunaks Wahlkreis im ländlich-wohlhabenden Yorkshire leben nur wenige Immigranten. Manche nannten ihn dort scherzhaft „den Maharadscha der Yorkshire-Täler“.

Viele indische Immigranten im Königreich, besonders die ostafrikanischen Migranten der zweiten Welle, sind beruflich sehr erfolgreich, sie haben Karrieren gemacht als Ärzte, Rechtsanwälte, Banker. Manche erwarben als Unternehmer Reichtum. Und sie neigen politisch zunehmend zu den Konservativen. 2019 gewannen die Tories erstmals mehr Stimmen von Hindus als Labour.

Mehrere indischstämmige Tory-Politiker gelangten in Ministerämter, neben Sunak als Schatzkanzler vor allem Priti Patel, die nun ausgeschiedene Innenministerin, die sich als Hardlinerin gegen illegale Immigranten profilieren wollte, und die jetzige rechtskonservative Innenministerin Suella Braverman (die aber kein Hindu ist, sondern der buddhistischen Triratna-Gemeinde angehört).

Anteil von Muslimen und Hindus steigt weiter

Das Zusammenleben im multikulturellen und multiethnischen England ist nicht immer spannungsfrei. Radikale Muslime randalierten vor Jahren in Oldham, Bradford und Birmingham. In vielen nordenglischen Orten haben sich islamische Parallelgesellschaften gebildet. Ein Lehrer musste sich letztes Jahr nach islamistischen Todesdrohungen wegen Mohammed-Karikaturen verstecken.

Jüngst kam es in der Stadt Leicester zu Zusammenstößen zwischen Muslimen und Hindus, die Polizei nahm etwa 50 Personen fest. Manche Beobachter sagen, die Aggression ging dort von radikalen Hindus aus, was ein Novum auf der Insel darstellte.

Laut dem Zensus von 2011 lebten in Großbritannien damals etwa eine Million Hindus (1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), etwa 3,3 Millionen Muslime (5 Prozent) und gut 300.000 Juden (ein halbes Prozent). Noch knapp 60 Prozent der Bevölkerung bezeichneten sich 2011 als Christen – das waren zehn Prozentpunkte weniger als ein Jahrzehnt zuvor. (Die Mehrheit sind Protestanten, etwa sieben bis acht Prozent der Bevölkerung sind Katholiken.) Schon mehr als jeder Vierte kreuzte beim Zensus „keine Religion“ an. In der Hauptstadt London sind Nicht-Christen schon längst die Mehrheit. Die neueste, 2021 durchgeführte Volkszählung ist noch nicht ganz ausgewertet, aber es werden weitere dramatische Verschiebungen zuungunsten der christlichen Religion erwartet. Der Anteil der Muslime und Hindus steigt durch Zuwanderung und höhere Geburtenraten; die Zahl der Christen nimmt ab, die der Religionslosen stark zu. Einige Beobachter erwarten, dass der Anteil der Christen im Landesdurchschnitt jetzt schon unter die 50-Prozent-Marke gefallen ist.

Schwindende Sichtbarkeit von Christen in der Politik

Die schwindende Zahl und die schwindende Sichtbarkeit der Christen spiegeln sich auch in der Politik wider. Weniger und weniger Politiker bekennen sich in der Öffentlichkeit als Christen. „Religion ist schon lange marginalisiert in der britischen Politik“, meint der Theologe und Journalist Sebastian Milbank. Allerdings gebe es im Parlament doch noch einige ernsthafte Christen, mehr als man denke. „Die Medien filtern den Glauben aber aus dem öffentlichen Leben heraus“, findet er. Oppositionschef Keir Starmer bezeichnet sich selbst als Atheist. Beim Schwur auf den neuen König Charles III. neulich im Parlament vermied der Labour-Anführer die Erwähnung Gottes. In den Reihen von Labour sind überdurchschnittlich viele Muslime vertreten. Bei den Tories gibt es zwar noch eine ganze Reihe praktizierende Christen und auch einige Katholiken, wie den jüngst entlassenen Ex-Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg, ein rechtskonservativer Katholik und vielfacher Familienvater, der regelmäßig zur Messe geht. Im Sunak-Kabinett ist die praktizierende Katholikin Thérèse Coffey hervorzuheben, die neue Umwelt- und Agrarministerin. „Sie ist die einzige Person im Kabinett, deren Glauben sich auch stark in ihrer Politik zeigt“, meint der Journalist Milbank.

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Aber der Einfluss konservativ-christlicher Werte ist auch in der Tory-Partei stark verwässert. Unter Boris Johnson, dem ersten katholischen Premier in der Downing Street 10, der aber im persönlichen Lebenswandel kaum Bezug zu den Moralvorstellungen der Kirche zeigte, fuhr die Partei in kritischen Wertefragen einen Schlingerkurs. Engagierte Lebensschützer waren entsetzt, dass auch mit den Stimmen vieler Tories in diesem Jahr entschieden wurde, auch nach der Covid-Zeit Abtreibungen per rezeptfreie Pille zuhause dauerhaft zu legalisieren. Jüngst hat das Parlament auch noch beschlossen, dass Gebets- und Mahnwachen vor Abtreibungskliniken herum illegal sind.

Die Church of England war früher konservativ – sie wurde sogar „the Conservative Party at Prayer“ genannt, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber immer mehr einem linksliberalen, „woken“ Zeitgeist angenähert. „Viele Gottesdienstbesucher der Church of England sind eher Tories, aber der Klerus ist überwältigend Labour-nah“, sagt Journalist Milbank. Die englische Kirche habe aber ohnehin nur noch wenig politischen Einfluss und Macht. „Sie war mal mächtig in beiden Parteien, jetzt wird sie von beiden ignoriert“, so Milbanks harte Einschätzung. Wichtig seien die Kirchen aber weiterhin für das Leben vieler Gemeinden, als Orte der Begegnung und für das soziale Leben. Mit Rishi Sunak ergibt sich theoretisch eine kuriose Konstellation in Britannien. Laut der ungeschriebenen Verfassung berät der Premier den König bei der Benennung von Bischöfen der Church of England. Ein Hindu wählt also künftig die christlichen anglikanischen Bischöfe auf der Insel aus? Erwartet wird, dass Sunak diese Aufgabe an den Vizepremier delegieren wird.

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