Ottawa

Porträt der Woche: Andrew Scheer

Was wird aus Andrew Scheer, dem Vorsitzenden der kanadischen Konservativen, nach dem Wahlsieg des bisherigen Premiers Justin Trudeau?
Kanadas konservativer Herausforderer Andrew Scheer
| Auch wenn sich Scheer bisher noch nicht explizit zu seiner Zukunft geäußert hat, spricht viel dafür, dass er als Oppositionsführer nach Ottawa geht

Unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Prognosen schossen die Spekulationen ins Kraut. Was wird aus Andrew Scheer, dem Vorsitzenden der kanadischen Konservativen, nach dem Wahlsieg des bisherigen Premiers Justin Trudeau? Gibt er als Parteichef auf? Zieht er sich womöglich ganz zurück aus der Politik?

Man kann weiter mit Scheer rechnen

Bald war klar: Man kann weiter mit Andrew Scheer rechnen. „Erinnert euch an 2016“, sagte er vor Anhängern am Dienstagmorgen, „Justin Trudeau wurde eine Amtszeit von zehn bis 15 Jahren vorausgesagt. Heute haben wir ihm eine Kündigung ausgesprochen. Seine Regierungszeit wird bald vorbei sein.“ So spricht keiner, der geht. Auch wenn sich Scheer bisher noch nicht explizit zu seiner Zukunft geäußert hat, spricht viel dafür, dass er als Oppositionsführer nach Ottawa geht. Zwar konnte Trudeau als Kandidat der Liberalen nach 2015 erneut die Unterhauswahlen gewinnen, doch Scheers Konservativen gelang es, die Liberalen unter die Marke der absoluten Mehrheit zu drücken. Trudeau muss künftig als Chef einer Minderheitsregierung klarkommen.

Dass ihm die Opposition unter Scheer das Leben schwer machen wird, ist sicher. Auch wenn der 40-jährige Scheer – mit seiner Ehefrau Jill hat er fünf Kinder – im Wahlkampf oft blass wirkte, dürfte er mit seiner Persönlichkeit und seinen Positionen langfristig gute Karten haben im politischen Kräftemessen. Als praktizierender Katholik mit klarem Bekenntnis zu Ehe und Familie, grundsätzlich offenen, aber nicht unkontrollierten Grenzen und freier Wirtschaft mit sozialer Verantwortung kann Scheer ein klares und vor allem glaubwürdiges Gegenmodell bilden zu Trudeaus letztlich unbestimmtem und in Sachfragen mitunter fragwürdigem Liberalisierungsprogramm. So veranlasste Trudeaus Regierung, um nur ein Beispiel zu nennen, den Kauf der Trans Mountain Öl- und Gas-Pipeline durch den Staat. Die Röhre verbindet die Provinz Alberta mit der Pazifikküste im Westen. Viele rieben sich verdutzt die Augen. Ausgerechnet Trudeau, der sich auf weltpolitischer Bühne oft als Klimaschützer inszeniert, fädelt einen solchen Deal ein.

Die Liberalen schulden den Dämpfer mehreren Skandalen

Der Dämpfer für die Liberalen dürfte aber vor allem mehreren Skandalen geschuldet sein. So machte Trudeau seit 2015 zum Teil hochmoralische Versprechen. Immer wieder aber verstieß der zu Selbstgerechtigkeit neigende Premier gegen die selbst gesteckten Maximen. Für Scheer bietet all dies Angriffsfläche. Doch zugleich muss er seine eigene Programmatik schärfen, um Chancen gegen Trudeau zu haben, dem die Kanadier eben nur einen Dämpfer, aber keine Niederlage verpassten.

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