Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben dicke Pflaster über ihre Münder geklebt. Die Tür geht auf und eine gut gelaunte „alte Tante SPD“ ruft: „ Saskia, Norbert, haltet ihr noch bis zum 26.9. so durch?“ Die Karikatur von Heiko Sakurai zeichnet die Linien der SPD-Wahlkampfstrategie nach: Das linke Führungsduo schweigt, die öffentliche Bühne gehört ganz dem Kanzlerkandidaten.
In der Mitte sammeln
Olaf Scholz kann in Ruhe Wähler aus der bürgerlichen Mitte einsammeln, denen angesichts von dessen Konkurrenz der alte Slogan von Angela Merkel als mögliches Entscheidungskriterium wieder einfällt: „Sie kennen mich.“ Bundesfinanzminister, davor erfolgreicher Hamburger Bürgermeister. Der 63-jährige Scholz scheint in der Ahnenreihe hanseatischer Sozialdemokraten zu stehen, die bei bürgerlichen Wählern schon immer diesen Seufzer auszulösen wussten: „Eigentlich gar nicht schlecht, nur in der falschen Partei.“
Der Status-quo-Sozi
Zwar fehlt Scholz das staatsmännische Charisma Helmut Schmidts und er tritt auch nicht so forsch wie Peer Steinbrück auf, doch er hat Regierungserfahrung – man kennt ihn eben. Und den in den Status quo verliebten Deutschen scheint das zu genügen: Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahrzehnten hat die SPD die Union bei einer Umfrage überholt.
Aber hat Olaf Scholz vielleicht nicht auch ein Pflaster auf dem Mund kleben, nur das es für die Wähler bisher unsichtbar ist? Schweigt er sich bewusst zu der gesellschaftspolitischen Agenda seiner Partei aus, weil er weiß, dass er damit Wechselwähler verschrecken würde? Das Wahlprogramm der SPD ist gerade in den für christliche Wähler relevanten Punkten wie Lebensschutz, Bioethik oder Familienpolitik ziemlich eindeutig. Schweigen, so heißt es im Volksmund, bedeutet Zustimmung.
Nicht überzeugend
Dass Scholz nicht wirklich in heimlicher Opposition zur eigenen Partei steht, zeigten zwei Vorfälle der letzten Wochen: Da war einmal der diffamierende Wahlspot gegen den bekennenden Katholiken und Laschet-Vertrauten Nathanael Liminski. Der wurde dann zwar schließlich nicht gezeigt. Und Scholz, der evangelisch aufgewachsen, jetzt aber konfessionslos ist, bekannte in einem Interview, Deutschland und natürlich auch er seien durch das Christentum geprägt. Wirklich überzeugend wirkte das nicht. Der zweite Fall: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg hat darauf aufmerksam gemacht, dass das SPD-geführte Familienministerium ein Treffen von Abtreibungsbefürwortern fördere. Von Scholz war dazu nichts zu hören. Ziemlich deutlich wurde er aber in seiner Zeit als SPD-Generalsekretär, als er 2002 die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ für seine Partei reklamiert hat.
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