Die Bundesaußenministerin hat sich nach Indien aufgemacht. Es ist gut, dass Annalena Baerbock nach Neu Delhi gefahren ist. Und auch das Ziel, das sich die Grüne für diesen Staatsbesuch gesetzt hat, ist richtig: Indien soll sich von Russland lösen und dem Westen annähern. Dabei ist klar, hier geht es nicht um kurzfristige Entwicklungen. Geduld und Beharrlichkeit sind diplomatische Tugenden. Aber auch einen Sinn für die Chancen zu haben, die bestimmte politische Konstellationen bieten, gehört in diesen Tugendkatalog. Und hier ist die Situation günstig: China, der große Nachbar, bereitet mit seiner aggressiven Machtpolitik der politischen Führung um Premierminister Narendra Modi Sorgen. Das verbindet die Inder mit den Europäern.
Indiens Wirtschaft ist noch immer mit Russland verflochten
Ganz anders sieht es mit Russland aus: Zwar hat Modi beim G20-Gipfel auf Bali klar den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt, dies bedeutet aber noch lange nicht, dass sich Indien aus seiner wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland löst und den Handel mit Moskau einschränkt. Das machte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar seiner deutschen Amtskollegin ziemlich deutlich. Aber das wird Baerbock nicht überrascht haben. Wie gesagt, es geht um eine langfristige Perspektive in dieser Partnerschaft.
Eines sollte die deutsche Außenpolitik aber schon bedenken: Bitte nun nicht gegenüber Indien die gleichen Fehler machen wie bei Russland und China! Bei aller Freude über die Chancen einer strategischen Kooperation, dürfen doch die Schatten, die über Modi und seiner hindu-nationalistischen Regierung liegen, nicht vergessen werden. Zu Recht hat „Missio Aachen“ darauf hingewiesen, dass Baerbock sich vor allem für eine Stärkungen der Rechte für Minderheiten und für Frauen einsetzen sollte.
Die Ministerin wird man hier nicht lange bitten müssen, schließlich hat sie sich selbst eine „wertegeleitete Außenpolitik“ auf die Fahnen geschrieben. Allerdings sind wir damit bei einem Grundproblem der deutschen Außenpolitik angelangt, das sich vor dem Hintergrund des Indien-Besuches deutlich zeigt: Nach welchen übergeordneten Prinzipien agiert eigentlich das Auswärtige Amt? Vor allem die Traditionalisten unter den Beobachtern der deutschen Außenpolitik sehen Baerbock gerne auf einem Kran mit einer Abrissbirne sitzen, mit der sie ihr Ministerium zum Einsturz bringen will.
Flucht ins Wolkenkuckucksheim
Statt nüchtern auf das zu setzen, was schon immer den Kern von Außenpolitik ausgemacht habe, nämlich die Konzentration auf die deutschen Interessen, flüchte Baerbock mit ihrem „wertegeleiteten“ Ansatz ins Wolkenkuckucksheim. Je wolkiger in den Formulierungen, je fantastischer in den Visionen für eine bessere Welt, umso mehr sind die Sätze der Ministerin für die alten Kämpen der auswärtigen Politik ein Graus. Und wie um das alles zu illustrieren, wurde nun auch noch der „Otto-von Bismarck“-Saal im Amt umbenannt.
Aber ist es wirklich so schrecklich? Ist es nicht erst einmal richtig, Außenpolitik auch auf Werte hin auszurichten? Der Fehler liegt darin, zwischen Interessen und Werten einen Gegensatz zu sehen. Es entspricht deutschen Interessen, wenn auf der Welt den Menschenrechten gefolgt sind. Siehe Russland. Siehe China. Die Schwierigkeit besteht darin, vorzumachen, wie das geht – diese Aufgabe muss Baerbock lösen. Und zwar jenseits der Phrase. Ob sie das kann, wird sich auch an der Indien-Frage zeigen.
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