Militärisch ist Russland in der Ukraine an mehreren Fronten auf dem Rückzug. Nun kündigte der neue Kommandant der russischen Invasionsarmee, Sergej Surowikin, der mit seinem brutalen Vorgehen gegen Zivilisten im Syrien-Krieg berühmt geworden war, "schwierige Entscheidungen" rund um Cherson an. Bis zum Beginn der herbstlichen Schlammzeit dürfte die ukrainische Armee nach Einschätzung von Militärstrategen noch Geländegewinne machen, dann droht ein harter Winter.
Der Kreml setzt angesichts seines Versagens jetzt darauf, die ukrainische Zivilbevölkerung zu terrorisieren sowie Infrastruktur und die für den Winter wichtige Energieversorgung zu beschädigen. Neben Raketen setzt Moskau dazu Kamikaze-Drohnen iranischer Bauart ein. Zuletzt gab es in der gesamten Ukraine immer wieder Luftalarm. Obwohl die Ukrainer die Mehrzahl der Drohnen abschießen konnten, wurden viele zivile Ziele und Einrichtungen der Energieversorgung im ganzen Land getroffen. Nach offiziellen Angaben wurde ein Drittel der Kraftwerke zerstört. Kiew fordert vom Westen mehr Flugabwehrsysteme.
Warm lässt sich der Iran in Putins Krieg hineinziehen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte den Einsatz iranischer Waffen eine politische und militärische Bankrotterklärung des Kreml. Allerdings sind die iranischen Shahed-136-Drohnen mit Produktionskosten von 20.000 Euro pro Stück für Moskau geradezu ein Schnäppchen. Shahed bedeutet "Märtyrer". Laut "New York Times" schickte der Iran sogar Ausbilder auf die Krim, um die russische Armee in der Bedienung der Drohnen zu schulen.
Warum aber lässt sich der Iran so tief in den desaströsen Krieg Putins gegen die Ukraine hineinziehen? Für das innenpolitisch schwer bedrängte Regime in Teheran ist jeder militärische Auslandseinsatz ein willkommenes Ablenkungsmanöver, zumal er aus Putins wie aus Teherans Sicht weniger gegen Kiew als gegen die USA geführt wird. Zudem haben Moskau und Teheran an vielen Fronten gemeinsame Interessen: In Syrien stehen beide an der Seite von Präsident Bashar al-Assad und stabilisierten sein Regime mit Militäreinsätzen. Im Kaukasus setzten beide darauf, eine Eskalation zwischen Aserbaidschan und Armenien einzudämmen: Moskau, weil es sich als Schutzmacht Armeniens versteht, wenngleich es Waffen an beide Seiten verkauft; Teheran, um die aserbaidschanische Minderheit im Norden des Iran unter Kontrolle zu halten. Der Iran drohte, militärisch im Kaukasus einzugreifen, sollte Aserbaidschan den Krieg gegen Armenien ausweiten und sich einen Korridor durch das Nachbarland zur Enklave Nachitschewan erobern.
Um seine Drohung zu unterstreichen, führt Teheran große Militärmanöver seiner Revolutionsgarden an der Grenze zu Aserbaidschan durch. Dabei gehe es nicht nur um die Verteidigung der Landesgrenzen, sondern um die Sicherheit der Region, betont Teheran. Es sind nicht allein anti-westliche Ressentiments, die den Iran verleiten, Putin zu unterstützen, sondern gemeinsame Interessen im Kaukasus wie in Nahost. Angesichts der Massenproteste im Iran käme dem Regime ein neues militärisches Engagement ganz gelegen.
Erste Staaten erklären Russland zu "terroristischem Regime"
Weil Russland in der Ukraine nun Drohnen einsetzt, die der Iran ursprünglich zu Angriffen auf Israel konstruierte, warnte der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew Israel am Montag vor Waffenlieferungen an die Ukraine. Das wäre "ein sehr rücksichtsloser Schritt", der "alle zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern zerstören würde", so Medwedew, der sich als Hardliner im Krieg gegen die Ukraine profiliert. Das Parlament von Estland erklärte die russische Regierung am Dienstag zu einem "terroristischen Regime" und Russland zu einem "Staat, der den Terrorismus unterstützt". Auch die baltischen Nachbarn Lettland und Litauen verabschiedeten ähnliche Erklärungen. Wörtlich heißt es in der estnischen Resolution: "Rechtsbruch kann niemals Recht schaffen. Mit seinen Atomwaffendrohungen hat Putins Regime Russland zur größten Gefahr für den Frieden in Europa und der ganzen Welt gemacht."
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