Der letzte Samstag wird Guntram Wothly noch lange in Erinnerung bleiben. Der 38-jährige Gymnasiallehrer für Französisch und Sozialkunde ist Kreisvorsitzender der CDU Jena. „Ich bin aus voller Überzeugung Kommunalpolitiker und engagiere mich deshalb für meine Heimatstadt, um den nächsten Generationen eine gut bestellte Stadt zu hinterlassen.“ Doch in letzter Zeit habe die Frustration immer weiter zugenommen. Zuletzt im Bundestagswahlkampf: „Die Leute an den Ständen wollten wissen, wofür wir eigentlich stehen. Und wir konnten nicht zufriedenstellend darauf antworten.“ Doch nach dem vergangenen Bundesparteitag und der Wahl von Friedrich Merz zum CDU-Vorsitzenden mit eindrucksvollen 94,6 Prozent sieht er nun endlich einen Wendepunkt für seine Partei. „Nach einer Zeit der politischen Moderation traf Merz' Rede direkt ins Herz und hinterließ in der Partei ein Gefühl der Rührung, des Aufbruchs und der klaren politischen Haltung“, sagt er. Wothly fühle sich nun wieder voll und ganz politisch zuhause.
Merz soll Fraktionsführung übernehmen
Die Euphorie dieses Neuanfangs dürfe aber keinesfalls verfliegen, ist sich der Thüringer sicher. Und deswegen ist Wothly schon kurz nach dem Ende des Parteitages mit anderen Parteifreunden, darunter andere Kreisvorsitzende und Abgeordnete, in die Offensive gegangen. In einem offenen Brief fordern sie, dass Merz nun als nächsten Schritt die Fraktionsführung im Bundestag übernehmen solle. Der 38-Jährige hebt hervor, dass diese Aktion nicht von irgendwelchen Parteistellen koordiniert worden sei, sondern eine Initiative aus der gesamtdeutschen Basis sei, die in Thüringen seinen Anfang genommen habe.
Wichtig sei ihm auch, dass diese Forderung keine Kritik an der bisherigen Amtsführung von Ralph Brinkhaus sei, denn durch seine damalige Kandidatur gegen Volker Kauder habe er der Fraktion neues Selbstbewusstsein gegeben. In der aktuellen Situation brauche es aber eine klare Führung und die müsse in einer Hand liegen. Merz müsse zum Gesicht der größten Oppositionspartei werden. „Wir sind der Meinung, dass Merz in dieser Frage schlecht für sich selbst sprechen kann, da er in der preußischen Tradition des ,Dienenden' steht. Deswegen wollten wir ihm auf diese Weise Rückendeckung von der Basis geben und auffordern, dass die Bundestagsabgeordneten sich unserer Initiative anschließen“, erläutert Wothly.
Offener Brief fand großes mediales Echo
Der offene Brief fand ein großes mediales Echo. Freilich ist Wothly mit dem Zungenschlag mancher Kommentatoren nicht einverstanden. So sei die Aktion etwa in Zusammenhang mit Hans-Georg Maaßen gebracht worden. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident, der in Südthüringen für den Bundestag kandidiert hatte, hält mit seiner Fundamentalkritik am Kurs der Union schon seit Wochen seine Partei in Atem. Dabei stilisiert sich Maaßen, der immer noch viele Fans unter den explizit konservativen Unionsanhängern besitzt, gerne zu deren öffentlicher Stimme. Es ist aber falsch, wenn suggeriert wird, es gebe automatisch eine Deckungsgleichheit zwischen allen Konservativen in der Union und Maaßen. Wothly etwa findet eine Stärkung des konservativen Profils wichtig. Sagt aber eben auch: „Ich habe mit Hans-Georg Maaßen überhaupt nichts zu tun, wir engagieren uns im gleichen Bundesland und gehören der selben Partei an. Mehr nicht!“
Merz hat Wothly endgültig überzeugt, als er vor einigen Monaten bei einer Veranstaltung mit Unternehmern in Jena echtes Interesse an den Sorgen der Menschen vor Ort gezeigt habe: „Er hat zum Beispiel gefragt: ,Warum ist die AfD in Ostdeutschland eigentlich so erfolgreich?' Er wollte von uns wissen, was wir dazu denken und hat uns zugehört.“ Eine solche Haltung habe man zulange von der Parteispitze nicht mehr gekannt. „Nicht, dass man mich falsch versteht, ich erkenne durchaus die Leistungen von Angela Merkel als Bundeskanzlerin an, vor allem auf dem außenpolitischem Gebiet und in der Europapolitik. Aber wir hatten das Gefühl, dass die Partei aus dem Kanzleramt geführt wurde und man sich für unsere Sorgen und Nöte nicht interessiert. Das war so während der Flüchtlingskrise. Anschließend besonders hier in Thüringen im Zusammenhang mit der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, als wir Kommunalpolitiker und unsere Geschäftsstellen bedroht und attackiert wurden. Und schließlich auch bei der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten. Die Mehrheit bei uns war eher für Markus Söder.“
Hoffnung auf stärkere Beteiligung der Basis
Guntram Wothly hofft, dass nun unter Merz die Basis grundsätzlich stärker beteiligt werden wird. „Ich könnte mir vorstellen, dass es jetzt jedes Jahr einen Kreisvorsitzendenkonferenz gibt. Oder einen basisdemokratischen Länderrat, der regelmäßig zusammentritt und in dem alle Landesverbände gleichermaßen vertreten sind.“ Dies sei gerade auch für die ostdeutschen Verbände wichtig, hätten diese doch oft das Gefühl, dass sie von den mitgliederstärkeren westdeutschen Verbänden dominiert würden. „Die Menschen haben Angst. Sie sorgen sich, dass die Energiepreise immer weiter steigen, dass sie ihr Benzin nicht mehr zahlen können. Und sie schauen auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Merz ist eloquent und kann hier Haltung und Orientierung geben, denn wie bei seiner Rede auf dem Parteitag wirkt er sehr staatsmännisch und kann der Gesellschaft und unserer Partei ein Gefühl von Sicherheit vermitteln“, so Wothlys Fazit.
Während sich also bei Basis-Funktionären wie Guntram Wothly das Gefühl einstellt, auf das endgültige Ende der Merkel-Ära folge nun eine neue Phase in der Partei, scheint für eine andere Gruppe mit dem politischen Abschied ihrer größten Widersacherin auch ihr eigener gekommen zu sein: die WerteUnion (WU), selbst ernannte Sprecherin der konservativen Basis innerhalb der Union und rund 4.000 Mitglieder stark, steht vor einem politischen Scherbenhaufen. Ihr Vorsitzender Max Otte lässt sich von der AfD als Bundespräsident vorschlagen. So aussichtslos die Kandidatur ist, so sehr unterstreicht sie auch, dass seit der Wahl Ottes im letzten Jahr die Gründungserzählung der WU nicht mehr funktionierte. Die lautete: Es ginge darum, durch eine Stärkung konservativer und wirtschaftsliberaler Positionen, der CDU dabei zu helfen, ihr klassisches Profil wiederzugewinnen. Otte aber war, trotz CDU-Parteimitgliedschaft, vor seiner Wahl zum WU-Vorsitzenden einige Zeit Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen „Desiderius-Erasmus-Stiftung“. Das hatte schon seit seiner Wahl dazu geführt, dass Teile der Mitglieder sich von der WU getrennt haben.
Deren Warnung, Otte sei eine Art trojanisches Pferd der AfD, scheint sich nun durch seine Kandidatur bestätigt zu haben. Otte will nun zwar für diese Zeit seine Mitgliedschaft in der WU ruhen lassen, aber der Untergang der Gruppe ist in Gang gesetzt: Prominente Mitglieder wie Hans-Georg Maaßen und Politik-Professor Werner Patzelt sind bereits ausgetreten.
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