Rom (DT/KAP) Der überraschende Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri hat Besorgnis bei der Kirche im Libanon ausgelöst. Die Erklärung und ihre Umstände wirkten „wie eine Kriegserklärung“, sagte der Landesleiter der Päpstlichen Missionswerke, Rouphael Zgheib, dem vatikanischen Pressedienst Fides am Samstag. Das politische Gleichgewicht, das nach einem zweieinhalbjährigen Machtvakuum mit der Wahl von Staatspräsident Michel Aoun geschaffen worden sei, stehe jetzt wieder infrage. Es sei zu hoffen, dass sich nicht erneut „die Pforten des Chaos und der institutionellen Lähmung“ öffneten, sagte Zgheib. Der maronitische Geistliche interpretierte den Amtsverzicht, den Hariri am Samstag via Fernsehen aus Saudi-Arabien ankündigte, als Befreiungsschlag des Regierungschefs, um einen Streit um Neuwahlen zwischen seiner eigenen Partei, der Zukunftsbewegung, und der schiitischen Hisbollah zu beenden. Die nächste Wahl soll im Mai 2018 stattfinden. Hariri stand seit Dezember 2016 an der Spitze einer breiten Regierungskoalition, die neben Saudi-Arabien nahestehenden Sunniten auch Iran-treue Schiiten umfasste. Er habe Angst, wie sein Vater Rafik Hariri ermordet zu werden, erklärte er in einer Fernsehansprache. Saad Hariri selbst besitzt auch die saudi-arabische Staatsbürgerschaft. In seiner Rücktrittserklärung machte er den Iran für die Konflikte in der Region verantwortlich und nannte die Hisbollah einen Arm Teherans.
Der maronitische Priester Zgheib sagte, mit dem Rücktritt Hariris sei auch die soeben angekündigte Reise des Maroniten-Patriarchen Bechara Rai nach Saudi-Arabien fraglich. Die Visite könne jetzt als Parteinahme verstanden werden. Dies sei „gewiss nicht Absicht des Patriarchen“. Rai, der auch Kardinal der römischen Kirche ist, wolle mit seinem Besuch „Brücken zu allen hin“ bauen. Auch wenn seelsorgliche und religiöse Anliegen im Vordergrund stünden, sei die Religion „immer mit der Politik verflochten“, so Zgheib.
Hariri war am 13. Oktober von Papst Franziskus empfangen worden. Dabei ging es nach Vatikanangaben um die erreichte größere Stabilität des Landes und eine engere Zusammenarbeit der politischen Kräfte im Libanon.
Das maronitische Patriarchat hatte kürzlich bestätigt, dass Kardinal Rai in den kommenden Wochen auf Einladung der dortigen Behörden Saudi-Arabien besuchen werde. „Der Besuch als solcher könnte der Beginn einer neuen Haltung Saudi-Arabiens gegenüber anderen Religionen sein“, so der Apostolische Vikar für das südliche Arabien, Bischof Camillo Ballin, im Gespräch mit der katholischen Nachrichtenagentur „Fides“. Zu dem Besuch wurde der Kardinal-Patriarch vom Geschäftsträger der saudischen Botschaft im Libanon, Walid Bukhari, eingeladen, der das Oberhaupt der maronitisch-katholischen Kirche am 1. November in der Patriarchalresidenz in Bkerke besucht hatte. Bei seinem Besuch in Saudi-Arabien soll Kardinal Rai nach Angaben von Bukhari auch König Salman und dem Kronprinzen Mohamed bin Salman begegnen.
Die Einladung von Patriarch Rai entspricht der neuen Strategie der saudischen Regierung gegenüber dem Libanon, mit der man die Konsolidierung der Beziehungen zwischen dem Iran und dem Libanon ausgleichen will. Bereits Ende Oktober hatte der libanesische Premierminister Saad Hariri den Kronprinzen Mohamed bin Salman und den saudischen Untersekretär für die Beziehungen zu den Golfländern, Thamer al Sabhan, in Riad besucht. Die maronitischen Politiker Samir Geagea und Sami Gemayel wurden vom saudi-arabischen Kronprinzen bereits im September empfangen. Auch unter kirchlichen Gesichtspunkten scheint der Besuch von Kardinal Rai in Saudi-Arabien von Bedeutung. Bisher hatte nur der damalige griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Elias IV., im Jahr 1975 offiziell Saudi-Arabien besucht. Bechara Boutros Rai ist der erste Kardinal, der offiziell als Gast der Regierung nach Saudi-Arabien kommt.
Saudi-Arabien verbietet im Sinn der wahabitischen Ideologie auf seinem Territorium den christlichen Gottesdienst und schon gar den Bau von Kirchen, obwohl zahlreiche christliche Arbeitsmigranten in dem Land leben, unter ihnen mindestens 1,5 Millionen Katholiken (vor allem aus Indien und von den Philippinen). Riad unterhält keine diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl, doch am 6. November 2007 wurde König Abdullah von Papst Benedikt XVI. in Audienz empfangen. Er war damit der erste saudische König, der einen Papst besucht hatte.