Zwischen allen Stühlen sitzt es sich meist höchst unbequem. Trotzdem sind in einer Zeit, die wie die unsrige außer Rand und Band geraten zu sein scheint, genau dort all jene gut aufgehoben, die auch im postfaktischen Zeitalter nicht gewillt sind, sich dem Geschrei der tatsächlichen oder auch nur gefühlten Massen unterzuordnen. Außer an Sitzkomfort mangelt es hier nämlich nur an „Likes“. Dafür kann hier in Adrenalin baden, wer zum Beispiel meint, es gäbe zwar ein Recht auf eine eigene Meinung, nicht aber auf Dummheit oder eigene Fakten. Die Frage ist nur, ob hier auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen (G-BA), Josef Hecken, verortet werden darf?
Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat sich dieser jetzt nicht nur zu dem vom G-BA während der Sommerpause eingeleiteten Methodenbewertungsverfahren für den umstrittenen „Pränatest“ geäußert, sondern auch gleich nach allen Seiten kräftig ausgeteilt. Er, Hecken, halte es für „zutiefst unethisch“, dass auf „Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung ein behindertes Kind als Schaden definiert werden“ könne. Das sei weder mit den Werten der Gesellschaft, noch mit der Verfassung vereinbar. Soweit, so richtig. Zugleich hielt Hecken aber „Kritikern aus dem klerikalen oder parlamentarischen Lagern“ eine „Doppelmoral“ vor, weil sie dem G-BA vorwürfen, dieser wolle mit dem Pränatest – einem nichtinvasiven Blutest, der auf die Trisomien 13, 18 und 21 detektiert – ein „Selektionsinstrument“ in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufnehmen. Schließlich nähmen sie seit 31 Jahren hin, dass mit der Fruchtwasseruntersuchung „eine pränataldiagnostische Methode bei Risikoschwangerschaften als Kassenleistung zur Verfügung steht, um (...) mutmaßlich behinderte Kinder zu ,selektieren‘“. Das aber ist falsch. Zumindest dann, wenn mit „Hinnahme“ suggeriert werden soll, Heckens Kritiker hätten daran etwas ändern können. Das ist jedoch nicht der Fall. Einmal, weil die „klerikalen“, also Bischöfe – oder wie in diesem Fall genauer der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, der in der Bischofskonferenz für bioethische Fragen zuständig ist – obgleich sie Forderungen erheben und Druck aufbauen können, keine Gesetze machen und verabschieden. Zum anderen, weil die „parlamentarischen“, also die dem Lebensschutz zuneigenden Parlamentarier, im Bundestag derzeit hoffnungslos in der Minderheit sind. Da zudem viele der von Hecken der „Doppelmoral“ Bezichtigten seit Jahren fordern, dass Ärzte mittels pränataler Diagnostik nur nach solchen Behinderungen fahnden können sollen, für die es auch eine Therapie gibt, grenzt die Retourkutsche des G-BA-Vorsitzenden nahezu an Verleumdung.
Wessen Geistes Kind Hecken wirklich ist, verrät er ganz am Ende des Interviews. Dort nämlich kritisiert er, dass der Pränatest, der derzeit als „Individuelle Gesundheitsleistung“ (IGel) angeboten wird, nur für Wohlhabende erschwinglich sei, während alle anderen „die Risiken der Fruchtwasseruntersuchung in Kauf nehmen“ müssten. Auch das ist falsch. Schwangere können solche Untersuchungen auch ablehnen. Zudem offenbart Hecken eine ziemlich bizarre Vorstellung von Gerechtigkeit, wenn er meint, es sei möglich, ein Unrecht zu minimieren, indem man es für alle erschwinglich macht. Richtig ist das Gegenteil. Erschwerend kommt hinzu: Wer soll überhaupt noch Zutrauen zu einer gewissenhaften Durchführung des Methodenbewertungsverfahrens haben, wenn ausgerechnet der G-BA-Vorsitzende schon zu dessen Beginn öffentlich macht, wo er selbst sein Bett gemacht hat.