Während Union und SPD bei der Bundestagswahl 2013 Stimmen gewannen, gehörten die Grünen zu den Verlierern. Zwar fielen ihre Verluste – von 10,7 (2009) ging es auf 8,4 Prozent hinunter – gegenüber FDP (minus 9,8 Prozent) und Linken (minus 3,3 Prozent) vergleichsweise gering aus. Der Schaden, den die grüne Seele damals nahm, war jedoch immens. Einen, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Damals setzte die lange zwischen „Realos“ und „Fundis“ heillos zerstrittene Partei zu einem wahren Höhenflug an. Nach der gewonnenen Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2011 stellten die Grünen erstmals einen Ministerpräsidenten. Noch dazu in einem Flächenstaat, der bis dato sicheres CDU-Stammland zu sein schien. Mit dem Einzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern im September 2011 waren sie erstmalig in allen Bundesländern parlamentarisch vertreten. 2012 – der GAU von Fukushima vom März 2011 war noch jedem im Gedächtnis – führten alle Umfragen sie als drittstärkste Kraft. Für die Ökopartei, die damals beinah als bürgerliche Partei mit Krötenschutzprogramm durchgegangen wäre – schienen die Trauben in den Himmel zu wachsen, die Kämpfe zwischen Realos und Fundis locker beherrschbar. Und dann das: Das grüne Wahlprogramm, das die Handschrift Jürgen Trittins trug und höhere Steuern, einen „Veggie-Day“ und die nicht minder ideologisch motivierte Abschaffung des gerade von der Regierung beschlossenen Betreuungsgeldes versprach, stoppte ebenso jäh wie unsanft eine Aufzugsfahrt, die vier Jahren lang nur eine Richtung zu kennen schien – nach oben.
Doch gelernt haben die Grünen daraus – wie sie jetzt in Münster demonstrierten – nur wenig. Die Flügelkämpfe werden wieder mit einer Heftigkeit geführt, die an alte Zeiten erinnern. In Münster stritt die Partei, die wie keine andere für Toleranz gegenüber den Interessen von Minderheiten eintritt und Sonderrechte für Schwule und Lesben reklamiert, ernsthaft darüber, ob der von der Parteiführung eingeladene und in Jeans und Turnschuhen angereiste Daimler-Chef Dieter Zetsche zu ihr über die Zukunft der Automobilindustrie und die Forderung der Grünen, ab 2030 nur noch Autos neu zuzulassen, die keine Verbrennungsmotoren besitzen, überhaupt reden dürfe. Geht's eigentlich noch intoleranter?
Damit nicht genug. Die beschlossene „Vermögenssteuer für Superreiche“ gleicht nicht nur dem Versuch einer Quadratur des Kreises – die neue Steuer soll verfassungsfest und ertragreich sein, gleichzeitig aber den Erhalt von Arbeitsplätzen und Investitionen nicht gefährden – sie ist bislang auch intransparent. Niemand weiß, wie die Grünen „superreich“ definieren, noch wie hoch der neue Steuersatz ausfallen soll. Was für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen und die Schere zwischen Arm und Reich verringern soll, ist zugleich ein taktischer Schachzug, mit dem sich die Grünen einem Linksbündnis anbieten, ohne schwarz-grüne Gedankenspiele zu beerdigen. Für Katholiken besonders interessant: Nach Ansicht der Grünen, greift auch das reformierte kirchliche Arbeitsrecht in Grundrechte von Arbeitnehmern ein und muss daher geändert werden. Politik für alle sieht anders aus. Die Grünen bleiben eine Klientelpartei, die aus ihren Fehlern nicht lernt. In Münster ist sie jetzt noch weiter nach links gerückt.