US-Experte im Interview

„Jeder fürchtet den Zorn Trumps“

Der USA-Experte Josef Braml spricht über die Fehler Bidens in der Wirtschaftspolitik, die Rolle des Obersten Gerichtshofs und den Einfluss des Ex-Präsidenten Donald Trump auf seine Partei.
Ex-Präsident Trump spricht in Texas
Foto: Nick Wagner (AP) | Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, spricht bei einer Kundgebung in Robstown, Texas. Laut dem USA-Experten Josef Braml ist Trumps Einfluss auf die Partei noch immer riesig.

Herr Braml, faktisch steht Joe Biden nicht auf dem Wahlzettel, dennoch sind die Kongresswahlen immer auch eine Abstimmung über das bisherige Abschneiden des amtierenden Präsidenten. Was steht für Biden auf dem Spiel?

Sie haben recht, Biden steht nicht zur Wahl, aber nichtsdestotrotz kann sein Handlungsspielraum eingeschränkt werden. Sollten eine oder beide Kammern des Kongresses in republikanische Hand fallen, wäre er mehr oder weniger eingeschränkt in der Innenpolitik, teilweise auch in der Außenpolitik. Und das hat etwas mit der bisherigen Amtsführung zu tun. In der Regel verlieren Präsidenten bei den ersten Zwischenwahlen nach zwei Jahren ihrer Amtszeit. Da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen. Sie verlieren umso mehr, je schlechter sie in den Umfragen dastehen. Und da sieht es bei Biden ja bekanntlich nicht allzu gut aus. 

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Umfragen attestieren Biden und den Demokraten niedrige Zustimmungswerte. Hierzulande wird seine Regierung meist als verlässlicher Partner wahrgenommen. Kann sich Biden beispielsweise mit seiner Ukraine-Politik in der Heimat nicht profilieren?

„All politics is local“: Der Satz gilt vor allem in Amerika. Der Ukraine-Krieg spielt nur indirekt eine Rolle. Die Ukraine ist zu weit weg für die meisten Amerikaner. Ihre Probleme liegen näher. Wenn ich indirekt sage, dann meine ich die Sanktionen, die auch von den USA forciert wurden, vor allem im Öl-Bereich: Die kommen jetzt als Bumerang zurück, da sie die Ölpreise verteuern und damit die Inflation befeuern. Das hat Biden schon genötigt, einen Canossagang nach Riad zu machen. Aber der Bittgang hat nicht dazu geführt, dass die Saudis das ein oder andere Fass mehr aufmachen – im Gegenteil. Sie haben jetzt die OPEC dazu bewogen, die Förderung um zwei Millionen Fässer pro Tag einzuschränken. Und helfen damit den Republikanern und somit auch dem möglichen nächsten Präsidenten Donald Trump.

"Die Ukraine ist zu weit weg für die meisten
Amerikaner. Ihre Probleme liegen näher"

Die Inflation und ganz generell die Wirtschaft bereiten den Wählern derzeit die größten Sorgen. Die Demokraten haben aber die Abtreibungsfrage zu einem zentralen Wahlkampfthema erklärt. Haben sie damit aufs falsche Pferd gesetzt?

Nicht die Demokraten haben das Thema gesetzt, sondern der „Supreme Court“, indem er durch sein neues Grundsatzurteil das seit 1973 bestehende nationale Recht auf Abtreibung mehr oder weniger ausgesetzt hat. Eine Entscheidung, die nur möglich wurde, weil Donald Trump drei Richter nominiert hat, bei denen von vornherein klar war, dass sie das Abtreibungsurteil drehen würden. Wer die amerikanische Politik schon ein bisschen länger verfolgt, musste wissen, dass das geschehen würde. Die Demokraten haben zurecht auf eine Gegenmobilisierung gehofft, vor allem von jüngeren Frauen, die primär von dem Urteil betroffen sind. Nur ist es dann auch in Amerika so, dass nicht nur in der Außenpolitik zuerst das Fressen, dann die Moral kommt.

Was meinen Sie damit? 

Damit meine ich, dass die Amerikaner wirtschaftliche Themen stärker umtreiben: Da geht es teilweise um das wirtschaftliche Überleben. Die „moral issues“, zu denen die Abtreibungsfrage gehört, sind damit wieder in den Hintergrund gerückt. Dafür haben auch die Demokraten gesorgt.

Inwiefern?

Durch kurzsichtige Politik. Einen Aspekt habe ich bereits genannt: die Ölsanktionen, die Biden forciert, dabei aber nicht zu Ende gedacht hat, dass er damit nicht einen Regimewechsel in Moskau herbeiführen könnte, sondern eher einen Regierungswechsel in Washington. Denn damit wird eben die Inflation getrieben. Und das zwingt die Notenbank, die Gelddruckmaschine zu entschleunigen und die Zinsen zu erhöhen, was im besten Fall zu einer Rezession führen wird, im schlimmsten Fall zu einem größeren Wirtschaftsgau. Die gleiche inflationstreibende Wirkung hat der Wirtschaftskrieg, den Biden von seinem republikanischen Vorgänger Trump geerbt hat und jetzt weiterführt. Durch Entflechtung und Deglobalisierung werden Güter teurer und heizen damit die Inflation an. All das hilft nun ironischerweise den Republikanern, da man ihnen bei wirtschaftlichen Themen größere Kompetenzen zutraut. Obwohl Trump diesen Unsinn erst angestachelt hat.

Die Republikaner als Partei der Wirtschaftskompetenz – ist das von der Realität gedeckt?

Nein. Zwar kamen die protektionistischen Tendenzen in der Handelspolitik vor allem auch von den Demokraten. Mittlerweile ist es aber so, dass die Republikaner gemerkt haben, dass man mit Protektionismus Wahlen gewinnen kann – vor allem Trump. Und auch jene Demokraten, die früher noch für Freihandel waren, sind jetzt auf Protektionismus umgeschwenkt. Aber in der Haushaltspolitik ist es ein historischer Fakt, dass seinerzeit der Demokrat Bill Clinton den Haushalt wieder besser aufgestellt und die Schuldenpolitik der Republikaner, die vor allem seit Ronald Reagan forciert wurde, ausgeglichen hat. Historisch gesehen konnten die Demokraten schon immer besser mit Geld umgehen. Und das hat auch dazu geführt, dass in den Clinton-Jahren, als es dem Land wirtschaftlich wieder besser ging, die „moral issues“ ins Spiel kommen konnten. Clinton hat durch gute Wirtschaftspolitik die Grundlage dafür gelegt, dass Themen der Sexualmoral George W. Bush zu Wahlsiegen verholfen haben. Die Christliche Rechte war damals in Schwung, weil die Wirtschaft im Aufschwung war. Wir erleben jetzt die umgekehrte Logik.

Selten war der „Supreme Court“ derart in aller Munde wie in den letzten Monaten. Und das dürfte so bleiben. Der Richter Samuel Alito zieht es wohl sogar in Erwägung, weitere Grundsatzurteile zu prüfen, etwa das Recht auf Verhütungsmittel oder auf gleichgeschlechtliche Eheschließungen. Ist das realistisch?

Ich glaube, in diesen Fragen werden die Richter vorsichtig sein, wenn sie politisch denken – und das tun sie mittlerweile auch –, damit das Ganze nicht nach hinten losgeht. Man hat es ja an den Gegenmobilisierungen nach dem Abtreibungsurteil gesehen. Ich glaube schon, dass es noch die eine oder andere Überraschung geben kann. Worauf ich dann aber setzen würde, sind Entscheidungen, mit denen der staatliche Einfluss im Wirtschaftsbereich beschnitten werden soll. Und da müssen insbesondere wir deutschen Katholiken, die wir durch die katholische Soziallehre geschult wurden, umdenken. Es ist nach protestantischer Auffassung in den USA eben nicht so, dass man den Menschen durch Sozialpolitik besser machen kann. Es gilt dann doch eher das harte protestantische Prinzip: Wenn du nichts hast, dann zeigt sich auch noch, dass Gott dich nicht wertschätzt. Es gilt allein der Markt. 

"Es gilt dann doch eher das harte protestantische
Prinzip: Wenn du nichts hast, dann zeigt sich
auch noch, dass Gott dich nicht wertschätzt"

Klingt ziemlich libertär…

So ist es. Das ist durchaus kompatibel mit dem libertären Denken, das reiche konservative Aktivisten vorantreiben. Ein Name ist sehr wichtig: Leonard Leo, ein gläubiger Katholik, der indes die protestantischen Strömungen der amerikanischen Christlichen Rechten sehr gut zu kanalisieren vermag. Er hat mehr oder weniger die Richter ausgesucht, die Trump später ernannt hat, und bekommt sehr viel Geld von vermögenden Amerikanern. Im Hintergrund gibt es einflussreiche Unternehmer, die nicht wollen, dass der Staat im Wirtschaftsbereich reguliert oder besteuert. Ein klassisches libertäres Prinzip. Und da fungiert die Religion oder das protestantische Arbeitsethos als Klammer.

Der Oberste Gerichtshof könnte nächstes Jahr auch die Kompetenz der Einzelstaaten noch weiter beschneiden, wenn es darum geht, Wahlen zu organisieren und durchzuführen. Wie groß sehen Sie diese Gefahr?

Das ist durchaus möglich. Aber man sollte sich auf das konzentrieren, was bereits gesichert ist: Noch zu Zeiten Obamas hob der „Supreme Court“ mit der Sektion 4 den Kern des „Voting Rights Act“ aus dem Jahr 1965 auf. Man hat sich gedacht: Ein Schwarzer ist Präsident, wo ist das Problem? Da kann man die Aufsicht Washingtons über die Einzelstaaten bei Wahlen aufheben. Seitdem können die Republikaner auf bundesstaatlicher Ebene Minderheiten in ihrem Wahlrecht einschränken. Afroamerikaner und Latinos werden wieder von den Urnen ferngehalten, indem der Zugang zu Wahlen erschwert wird. Darauf würde ich eher schauen, vor allem wenn man bedenkt, dass Trump beim letzten Mal nur 42.000 Stimmen in drei Einzelstaaten gefehlt haben und er viele in der Partei genötigt hat, die fehlenden Stimmen noch zu finden. Viele der damals Standhaften werden nun, vor allem nach den Zwischenwahlen, auf Einzelstaatsebene durch Trump-Getreue ausgetauscht.

Wie groß sehen Sie generell Trumps Einfluss?

Der ist riesig, es traut sich keiner, sich gegen ihn zu stellen. Entweder man glaubt seiner Lüge von der gestohlenen Wahl oder man traut sich nicht, ihn zu berichtigen. Aber jeder fürchtet den Zorn Trumps. Nehmen sie Elizabeth Cheney: Sie hat stets mit großen Abständen die Wahlen um einen Sitz im Repräsentantenhaus gewonnen. Jetzt ist sie in den Vorwahlen rausgekegelt worden, nur weil sie sich gegen Trump gestellt hat. 

Allerdings hat sich Trump bis jetzt nicht zu einer Kandidatur geäußert, auch wenn er immer wieder Andeutungen machte…

Josef Braml

Weil er die Medien kennt: Es ist doch nichts interessanter als das Vorspiel, oder? Die Karten werden erst später auf den Tisch gelegt. Man sieht den Einfluss Trumps auch daran, dass sich der aussichtsreichste Republikaner nach Trump, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, nicht traut, seine Kandidatur bekanntzugeben. Er wird seinen Hut wohl nur in den Ring werfen, wenn Trump wirklich sagen sollte, ich trete nicht an.

Tritt er an?

Ich halte das für wahrscheinlicher als das Gegenteil.

Gibt es für die Trump-Kritiker unter den Republikanern noch einen Strohhalm, an den sie sich klammern können?

Höchstens, wenn die Trump-Kandidaten bei den Senatswahlen durchfallen. Während die in den Vorwahlen von Trumps Gnaden „auserwählten“ Kandidaten denn auch im November ins Abgeordnetenhaus gewählt werden dürften, könnten indes Trumps Interventionen den Republikanern eine mögliche Mehrheit im Senat kosten. Anders als die durch sogenanntes „gerrymandering“ auf homogene Wählerschaften zugeschnittenen Wahlkreise der Abgeordneten, in denen – auf beiden Seiten des politischen Spektrums – nur die extremen Kandidaten gewinnen, entscheidet bei den Wahlen zum Senat eine diversere Wählerschaft in den meisten Einzelstaaten sich zumeist für gemäßigtere Kandidaten in der politischen Mitte. Trump hat schon einmal dafür gesorgt, dass die Republikaner bei Nachwahlen den Senat verloren haben, da er die falschen Kandidaten unterstützte. Auch diesmal könnte es sein, dass republikanische Kandidaten nicht gewinnen, weil sie zu extrem sind oder zu wenig politisches Gewicht haben. Dann hätte Trump verhindert, dass der Senat in republikanische Hände wandert. Das wäre eine rationale Annahme in normalen Zeiten. Aber wir leben schon seit langem in Trump-Zeiten.

"Trump hat schon einmal dafür gesorgt,
dass die Republikaner bei Nachwahlen den Senat
verloren haben, da er die falschen Kandidaten unterstützte"

In beiden Parteien werden die äußeren Flügel immer stärker. Werden die Wähler wieder das Gefühl haben, sich nur für das geringere von zwei Übeln entscheiden zu müssen?

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Wichtig ist vorneweg: Es gibt in Amerika keine Parteien nach unserem Verständnis. Die USA haben kein parlamentarisches Regierungssystem. Die Republikanische Partei würde Trump liebend gerne verhindern. Dass er die Partei dennoch im Griff hat, zeigt, dass es in Amerika keine Parteien im herkömmlichen Sinne gibt. Das Problem besteht daher nicht zwischen zwei Übeln. Es gibt ein großes Problem, das ist Donald Trump – und der ist nach meiner langjährigen Beobachtung nur ein Indiz für grundlegendere Probleme in den USA. Gleichwohl gibt es Bemühungen, die US-Demokratie noch zu retten. Der Politologe Francis Fukuyama beispielsweise traut das den Republikanern gar nicht mehr zu, er hat nur noch Hoffnung, dass die Demokraten über einen längeren Zeitraum Wahlen gewinnen und die Republikaner dadurch wieder zur Räson kommen und Demagogen wie Trump dann doch wieder von sich weisen. Aber ich befürchte, das ist Wunschdenken von Herrn Fukuyama.

Dass er nicht immer richtig lag, weiß man ja seit seiner These vom Ende der Geschichte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion…

Ja, die Geschichte ist doch weitergegangen. Und jetzt kämpft Amerika wieder einen Systemwettkampf, und zwar gegen China. Da sind sich übrigens alle Amerikaner einig. Und das hat gravierende Konsequenzen für Europa. Wir meinen seit Putins Ukrainekrieg, dass Amerika wieder fest an unserer Seite steht – mitnichten! Eine republikanische Mehrheit wird schon infrage stellen, warum Biden im Ukrainekrieg weiterhin Geld ausgibt. Das sollen doch die Europäer selber machen. Russland ist das Problem Europas, nicht Amerikas, so deren These. Amerikas Außenpolitik wird sich jedenfalls ändern: Einerseits durch innenpolitische Faktoren, andererseits durch einen außenpolitischen Konsens, der die Wachstumsregion Asien und vor allem die wirtschaftliche und militärische Bedrohung durch China in den Blick nimmt, nicht mehr das „schöne Museum“ Europa.


Dr. Josef Braml ist USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission. Sein neues Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“, ist beim Verlag C.H.Beck erschienen.

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