Es ist nicht gesichert, ob „Man muss Gnocchi aus dem Teig machen, den man hat“ eine gängige italienische Redensart ist. Timothy Dolan, Kardinal und Erzbischof von New York, griff jedenfalls jüngst darauf zurück, um sein Verhältnis zum US-Präsidenten Donald Trump zu beschreiben. Es gibt wohl derzeit kaum ein Thema, zu dem Dolan häufiger befragt wird. Denn aus dem eigenen katholischen Milieu sind zahlreiche Stimmen laut geworden, die dem New Yorker Erzbischof eine mangelnde Distanz zu Trump vorwerfen. Unfreiwillig hat der Kardinal eine Debatte losgetreten, wie sich führende Katholiken und Bischöfe gegenüber politischen Entscheidern verhalten sollten.
Der Auslöser für die Diskussion war – wie so häufig in dieser Zeit – die Coronavirus-Pandemie. Die USA sind bekanntlich schwer getroffen, die Wirtschaft liegt brach – und auch viele katholische Schulen müssen um ihre finanzielle Sicherheit bangen. Den US-Bischöfen dürfte es daher gelegen gekommen sein, als sie von Trump Ende April eingeladen wurden, im Rahmen einer Telefonkonferenz über staatliche Unterstützung für katholische Bildungseinrichtungen zu sprechen. Mehr als 600 führende US-Katholiken, darunter eben auch Kardinal Dolan, Kardinal Sean O’Malley, Erzbischof von Boston, sowie José Gomez, Erzbischof von Los Angeles und Vorsitzender der US-Bischofskonferenz, beteiligten sich an der Schalte.
Trump bittet um Unterstützung bei Wahlkampf
Das gut 30-minütige Gespräch entwickelte sich jedoch nicht ganz so, wie gedacht: Berichten des katholischen US-Magazins „Cruxnow“ zufolge soll Trump den Großteil der Zeit genutzt haben, um bei Teilnehmern um Unterstützung für seine Wiederwahl im kommenden November zu bitten. Er bezeichnete sich offenbar als „den besten Präsident in der Geschichte der katholischen Kirche“. Sollten die Demokraten die Wahl gewinnen, so Trump, würde der Kirche in einer Reihe von Themenfeldern Gegenwind drohen – beispielsweise Abtreibung, Religionsfreiheit und Schulwahl. Dies alles ist belegt, da geleakte Tonaufnahmen des Gesprächs in den Besitz von Cruxnow gelangten.
Dolan und den US-Bischöfen wird nun zum einen vorgeworfen, sie würden sich von Trump für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren lassen und mangelnde Distanz zum US-Präsidenten zeigen. Anstoß erregte bei einigen offenbar auch der jovial-kumpelhafte Ton, mit dem der New Yorker Kardinal in der Konferenz mit Trump gesprochen haben soll. Seine Mutter, witzelte Dolan gleich zu Beginn des Telefonats, beschwere sich schon bei ihm, da er häufiger mit dem Präsidenten spreche als mit ihr. Zudem fand der Kardinal lobende Worte für den Umgang des Präsidenten mit der Coronavirus-Pandemie.
Mehr als 1.500 US-Katholiken unterzeichnen Appell an Dolan
Doch damit nicht genug: Auch die Tatsache, dass Dolan den US-Präsidenten jüngst auch noch als besonderen Gast zum Livestream seiner Sonntagsmesse aus der New Yorker Saint Patrick's Cathedral begrüßte, ließ einige Trump-kritische US-Katholiken sauer aufstoßen. Das Maß des Tolerierbaren schien für liberale Katholiken jedoch endgültig überschritten, als Kardinal Dolan am nächsten Tag auch noch in der Sendung „Fox&Friends“ zugeschaltet wurde – einem Format von „Fox News“, bekanntlich Trumps Lieblingssender. Dort erklärte Dolan, er „bewundere“ die Führungskompetenz Trumps. Und weiter: „Der Präsident hat ein besonderes Gespür für die Gefühle der religiösen Gemeinschaft.“
Daraufhin sahen sich einige Katholiken veranlasst, die Äußerungen des New Yorker Kardinals nicht unwidersprochen stehenzulassen. In einem offenen Brief, der von mehr als 1.500 führenden Katholiken des Landes unterzeichnet wurde, drückten sie ihren Unmut gegenüber Dolan aus: „Bitte sagen Sie gegenüber den Mächtigen die Wahrheit und nehmen Sie Abstand davon, auch nur den Eindruck zu erwecken, dass die Bischöfe sich in diese Wahl einmischen“, heißt es darin. Zudem werfen sie Trump vor, nicht „pro life“ zu sein. Dolans Teilnahme an dem Telefonat und die Äußerungen bei Fox News würden den Eindruck erwecken, führende US-Katholiken hätten sich mit einem Präsidenten auf eine Linie gestellt der „Einwandererfamilien auseinanderreißt, den Klimawandel leugnet, Rassendiskriminierung schürt und Wirtschaftsstrategien fördert, die die Armen treffen“. Zu den Unterzeichnern des Briefs gehört auch Steve Schneck, Politikwissenschaftler an der Catholic University of America in Washington, D.C., der sich auch gegenüber dieser Zeitung bereits mehrmals kritisch zur Präsidentschaft Trumps geäußert hat.
Dolan verteidigt sich gegen Vorwürfe
Dolan selbst verteidigte sich gegen die Vorwürfe. In einem ausführlichen Interview mit der Jesuiten-Zeitschrift „America Magazine“ erklärte er, die Kirche erfülle die „heilige Aufgabe von Begleitung, Engagement und Dialog“. Tue man dies, gehe man das Risiko ein, von beiden Seiten Kritik einstecken zu müssen. „Ich bekomme mehr Kritik von denjenigen, die Sie vielleicht als rechts bezeichnen würden“, so Dolan. Ihm sei in der Vergangenheit auch schon seine Zusammenarbeit mit demokratischen Politikern wie dem New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo oder dem Bürgermeister der Stadt, Bill De Blasio, vorgeworfen worden. Katholiken seien grundsätzlich dazu aufgerufen, sich am politischen Geschehen zu beteiligen, ohne zu stark für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen.
Auch beim „America Magazine“ scheint man sich in der Bewertung von Dolans Verhalten nicht ganz einig zu sein. Während der Chefredakteur dem Kardinal sein Lob aussprach, weil er die Chance genutzt habe, 30 Minuten mit dem mächtigsten Mann des Landes zu sprechen, wirft die Zeitschrift Dolan in einem anderen Beitrag auf kommunikativer Ebene „pastorales Versagen“ vor.
Welches Fazit auch immer man aus Dolans Aussagen ziehen mag: Nicht von der Hand zu weisen scheint die Tatsache, dass Trump dem Telefonat geschickt seinen eigenen inhaltlichen Zuschnitt verpasst haben dürfte, ohne die Bischöfe vorher darüber in Kenntnis zu setzen. In einer E-Mail der Beauftragten der US-Bischöfe für die Beziehungen zur Regierung, die ebenfalls in den Besitz von Cruxnow gelangte, warnte diese die Bischöfe sogar, sich nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren zu lassen: Denn um sich in die Telefonschalte einzuwählen, sei es notwendig gewesen, eine E-Mail-Adresse zu hinterlegen, die dann möglicherweise von Trumps Wahlkampfteam für unerwünschte Zwecke verwendet werden könnte.
Bischöfe unterstützen grundsätzlich keinen Kandidaten
Nach dem Telefonat stellte eine Sprecherin der US-Bischöfe klar: Diese Warnung habe auf vorsichtigen Spekulationen basiert, nicht auf Äußerungen aus dem Weißen Haus. Die US-Bischofskonferenz unterstütze grundsätzlich weder Kandidaten für ein gewähltes Amt, noch lehne sie diese ab. Ob Dolan das Werben des US-Präsidenten um die Unterstützung der Katholiken als unangemessen betrachtet, äußerte er sich indes nicht. Aber man kann sich seinen Gnocchi-Teig eben nicht aussuchen. Für Kardinal dürfte damit alles gesagt sein.
Völlig unbeschadet zog sich hingegen der US-Präsident selbst aus der Affäre: Während die US-Katholiken intern streiten, arbeitete Trump weiter daran, das ihm von Dolan bescheinigte „Gespür für die Gefühle der religiösen Gemeinschaft“ unter Beweis zu stellen. Beim alljährlichen Nationalen Gebetstag forderte er die Amerikaner jüngst auf, noch größeren Glauben an die göttliche Vorsehung zu haben. Auch wenn öffentliche Gottesdienste derzeit nicht stattfinden könnten, seien die Menschen durch das Gebet und die Zusicherung verbunden, „dass Gott uns durch die vielen Täler des Lebens führen wird“.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe