Gastkommentar: Grundsatzfragen diskutieren

Von Katrin Grüber

Das gesellschaftliche Klima ist entgegen aller positiven Entwicklungen auch durch die rhetorische Frage geprägt: Wer will schon ein behindertes Kind? Individuelle Entscheidungen finden vor diesem Hintergrund statt und werden durch ihn beeinflusst. Im Jahr 2012 wurde in Deutschland ein Test eingeführt, der die Pränataldiagnostik voraussichtlich stark verändern wird, indem die Untersuchungen noch selbstverständlicher werden und auch der Rechtfertigungsdruck auf Eltern mit einem behinderten Kind steigt. Bereits jetzt ist die Vorstellung weit verbreitet, die Eltern hätten sich durch die Pränataldiagnostik informieren können und müssen und es sei nicht anzunehmen, dass sie sich bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden hätten. Die Proben werden aus dem Blut der Mutter gewonnen. Das macht die Untersuchung einfacher. Getestet wird derzeit vor allem auf Trisomie 21. In anderen Ländern befinden sich weitere Verfahren in der Erprobung. Trotz der ethischen Relevanz waren im Rahmen des Zulassungsverfahrens bei der Zulassung des Tests im Jahr 2012 ausschließlich technische Fragen relevant.

Dies gilt auch für das Verfahren, in dem der Gemeinsame Bundesausschuss die Frage beantworten will, ob der „Pränatest für Schwangere“ Kassenleistung werden soll. Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Kritik aufgegriffen und sagt zu, den Deutschen Ethikrat in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Dies ist zu begrüßen, auch wenn abzuwarten ist, wie dies umgesetzt wird und welchen Einfluss dies auf das Ergebnis haben kann. Deshalb ist es notwendig, parallel zu dem Verfahren an anderer Stelle – insbesondere über die Medien – Grundsatzfragen zu diskutieren. Im Zentrum steht die Frage, wie verhindert werden kann, dass die Bemühungen um Inklusion durch Entwicklungen der Pränataldiagnostik unterlaufen werden. Es ist notwendig, die Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern mit behinderten Kindern auszubauen. Unter Ärzten und Ärztinnen sind Diskussionen wichtig. Ihnen kommt eine Schlüsselrolle zu. Selbst wenn Frauen von sich aus darauf drängen, alle Angebote der Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen: Ärzte und Ärztinnen sind aufgerufen, reflektierter über die Pränataldiagnostik zu beraten, als es viele von ihnen – natürlich nicht alle – bisher tun. Sie sollten Frauen nicht drängen, die Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen, sondern sich aktiv dafür einsetzen, dass es nicht routinemäßig zu einer Inanspruchnahme kommt.

Die Autorin ist Leiterin des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW)

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