Lobredner verraten auch etwas über sich selbst. Wer lobt, stellt heraus. Denn wer bestimmte Teile eines Lebenswerkes hervorhebt, der lässt notgedrungen auch andere Aspekte unter den Tisch fallen. Der Lobredner gewichtet also. Ein Effekt, der auch für die Würdigungen Benedikts XVI. durch deutsche Politiker gilt. Die Punkte, die der Sprecher für seine Würdigung auswählt, beziehen sich nicht unbedingt auf die Aspekte des Lebens des Verstorbenen, zu denen der Politiker tatsächlich etwas zu sagen hat, sondern vor allem, zu welchen er irgendetwas sagen kann.
Das ist aufschlussreich, nicht weil hier plötzlich neue oder gar überraschende Perspektiven auf Benedikts Leben geworfen würden, sondern weil der Anlass die Politiker zwingt, etwas über ihre Einschätzung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche oder der Bedeutung der Religion für die Gesellschaft zu verraten. Die Politiker stecken dabei in einer Zwickmühle. Denn selbst derjenige, der sich vielleicht inhaltlich überhaupt nicht dazu imstande sieht, etwas Substanzielles zu diesem Themenkomplex zu äußern, wird quasi durch seine Amtspflichten dazu gezwungen. De mortuis nihil nisi bene – dieser alte Grundsatz gilt angesichts dieser Aufgabe nur bedingt. Denn „nichts“ zu sagen, steht als Option nicht zur Verfügung und das, was gesagt wird, muss irgendwie nach Würdigung klingen.
Scholz hat die Aufgabe virtuos gelöst
Hinzu kommt noch eine zweite Ebene, man kann sie die zivilreligiöse nennen. Es geht dabei um den Einfluss religiöser Vorstellungen auf unsere politische Kultur - aber eben auch um den entgegengesetzten Effekt – und bei dem besteht zumindest aus Sicht der Religionsgemeinschaften eine Gefahr: Wo instrumentalisieren Vertreter aus Staat oder Politik religiöse Vorstellungen, um eine Art geistigen Überbau für die politische Kultur zu konstruieren, die ihren Machtinteressen entspricht?
Geradezu virtuos hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Aufgabe gelöst. Ihm kommt seine hanseatische Zurückhaltung hier einmal tatsächlich zu Gute. Er sagt nur das Nötigste, aber genau dadurch beweist er Stil: Benedikt sei als „deutscher“ Papst nicht nur für viele hierzulande ein bedeutender Kirchenführer gewesen. Schließlich drückt er noch sein Mitgefühl für die Gläubigen weltweit und besonders für diejenigen aus, die in den letzten Jahren für den Verstorbenen eine Stütze und Hilfe gewesen seien. Scholz lässt sich nicht dazu verleiten, die Kirchenpolitik Benedikts oder seine Theologie zu bewerten. Er unterliegt nicht der Gefahr der Anmaßung, auf einem Feld Urteile zu fällen, zu dem er als Person vielleicht eine Privatmeinung besitzt, auf dem er aber als Repräsentant des Staates Neutralität zu wahren hat. Das wirkt auf den ersten Blick etwas steif und unpersönlich. Aber letztlich beweist hier der Sozialdemokrat Respekt – ein Schlüsselbegriff für das politische Denken des Kanzlers. Weniger ist mehr - der Kanzler hat ganz offensichtlich keine zivilreligiösen Ambitionen.
Unterschiede zwischen Scholz und Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt die Akzente schon anders. Als er 2016 zum Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes nominiert wurde, war der Protestant eigentlich schon als Präsident des Evangelischen Kirchentages vorgesehen. Das mag erklären, warum er sich als Leser der Werke Joseph Ratzingers und damit auch als theologisch informiert zu erkennen gibt: „Sein Glaube, sein Intellekt, seine Weisheit und seine menschliche Bescheidenheit haben mich immer tief beeindruckt.“ Das könnte eitel wirken. Doch Steinermeier kriegt die Kurve, indem er die Essenz, die er aus dieser Lektüre gezogen hat, so breit fasst, dass kein Platz für eine kritische Bewertung bleibt. Ein zivilreligiöses Programm lässt sich schon eher erkennen, wenn der Bundespräsident Benedikt als Mittler zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen und den Religionen würdigt.
So unzweifelhaft verdienstvoll dieser Aspekt bei Benedikt ist, so fällt doch auf, dass Steinmeier gerade diesen hervorhebt. Offenbar, weil er die Frage des interkonfessionellen wie auch des interreligiösen Dialogs auch für das deutsche Gemeinwesen für relevant erachtet. Schließlich geht Steinmeier auch noch auf das Missbrauchs-Thema ein, verbindet es aber nicht mit einer Kritik an Benedikt: „Hier war er besonders in der Verantwortung. Benedikt wusste um das große Leid der Opfer und den immensen Schaden für die Glaubwürdigkeit der Kirche“, schreibt der Präsident.
Vergleicht man die beiden Statements von Regierungschef und Staatsoberhaupt, so werden Unterschiede deutlich erkennbar. Scholz vertritt die laizistische Richtung. Auf Nüchternheit und höfliche Distanz bedacht, gleicht seine Stellungnahme der des Staatsoberhauptes aus dem Mutterland des Laizismus, das alles Wesentliche in einem Satz zusammenfasste: „Meine Gedanken sind bei den Katholiken in Frankreich und der ganzen Welt, die um Seine Heiligkeit Benedikt XVI. trauern, der sich mit Seele und Verstand für eine brüderlichere Welt eingesetzt hat“, schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Würdigung von Frank-Walter Steinmeier steht hingegen für die „hinkende Trennung“ zwischen Staat und Kirche, wie sie typisch für die Bundesrepublik ist.
Es gibt inhaltliche Aussagen zu religiösen Themen, der Kirche wird auch als gesellschaftlicher Größe Reverenz erwiesen. Das Ganze zudem im freundlichen, von einer Grundsympathie getragenen Ton. Hier hört man sozusagen noch die alte Bundesrepublik sprechen.
Wie die neue klingen könnte, zeigte die Berliner Bürgermeisterin Bettina Jarasch. Die Grünen-Politikerin beließ es auch nicht beim bloßen Kondolieren, sondern bezog inhaltlich Stellung - freilich in Form einer persönlichen Kritik. Benedikt XVI. sei ein Papst gewesen, „der mich als Katholikin immer wieder auf die Probe stellte, weil er dringend nötige Reformen in der katholischen Kirche verhindert hat und über wichtige Debatten den Mantel des Schweigens hüllte“. Zum Schluss wird sie dann aber doch versöhnlich: „Dass er selbst den Mut und die Kraft hatte, zu Lebzeiten den Weg für eine Neuwahl freizumachen und so indirekt Türen für Reformen geöffnet hat, nötigt mir Respekt ab.“
Kretschmann klingt persönlich und präsidial
Viel eleganter bekommt es Jaraschs grüner Parteifreund Winfried Kretschmann hin. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg schafft es, den staatstragenden Ton mit einer persönlichen Note zu verbinden und sich gleichzeitig als Kenner des kirchlichen Lebens zu präsentieren. Kretschmann schreibt: „Er war engagierter Kämpfer für die Einheit der Kirche und beharrlicher Verteidiger dessen, was ihm als Wesensgehalt des Katholizismus unaufgebbar schien.“ Und fügt hinzu, so wichtig Benedikt die Größe der Kirche gewesen sei, so wenig haber der Verstorbene Wert auf seine Person gelegt. „2011 in Freiburg habe ich ihn genau so erlebt: persönlich uneitel, sanft und bescheiden.“ Haben wir es hier mit einer Art Gesellenstück des baden-württembergischen Landesvaters zu tun? Kretschmann wurde schon immer mal wieder als mögliches Staatsoberhaupt gehandelt, den präsidialen Ton beherrscht er jedenfalls schon.
Für einen Farbtupfer - selbstredend einen weiß-blauen – im Reigen der Würdigungen haben natürlich die Bayern gesorgt. Ganz selbstverständlich firmiert Benedikt dort als „unser bayerischer Papst“. Ministerpräsident Markus Söder betont: „Er trug seine Heimat immer im Herzen.“ Benedikt XVI. hat ganz offenbar schon jetzt als Papst aus der Heimat einen festen Platz im bayerischen Geschichtsbewusstsein. Freilich fühlt man sich auch ein wenig an die Debatte um den sogenannten Kreuzerlass erinnert: Damals ließ Söder in allen bayerischen Behörden ein Kreuz aufhängen, denn dies sei ein Symbol der bayerischen Kultur. Ein Gerichtsurteil bestätigte schließlich diesen Beschluss. Freilich hieß es in dem Urteil auch, das Kreuz stelle deswegen keinen Verstoß gegen die Religionsfreiheit dar, weil von ihm in dieser Form keine missionarische Kraft ausgehe. Ein Schicksal, das man dem bayerischen Papst nicht wünschen kann.
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