Zeitenwende - Wendezeiten

Die „Daily-Wire“ Kontroverse: Kommerzialisierung des Widerstands

Wenn mit konservativen Meinungen Geld verdient werden kann, ist auch das Ende der freien Meinungsäußerung nicht mehr weit. Ein Kommentar.
October 21, 2018 - Los Angeles, California, U.S. - BEN SHAPIRO at the fourth annual Politicon, a two
Foto: Brian Cahn (imago stock&people) | Anti-Woker Youtuber Ben Shapiro hat das konservative Medienportal „The Daily Wire“ mitbegründet.

Für Linke wie Rechte bot sich letzte Woche ein unterhaltsames mediales Streitschauspiel, als sich bekannte Gesichter der konservativen Szene Amerikas gegenseitig an den Kragen gingen. Vielmehr an die Wäsche, denn entblößt wurde nichts weniger als die empfindliche Intimsphäre der amerikanischen Seele – das liebe Geld. Das konservative Medienportal „The Daily Wire“, welches Ben Shapiro, einer der bekanntesten Gesichter der Anti-Woken Youtuber-Szene, mitbegründete, hatte im Juni vergangenen Jahres einen Premiumdienst gestartet. Darin versucht das „Daily Wire+“, alles, was in seiner Szene Rang und Namen hat, zu sammeln und damit die Reichweite zu maximieren. Eine der begehrten Stimmen war der kanadische Comedian und Kommentator Stephen Crowder.

Mediale Statistiken beeinflussen die Bezahlung

Nach dem Motto „Louder with Crowder“ hat dieser nun Details zu den Vorverhandlungen mit Daily Wire veröffentlicht, verbunden mit lautstarker Kritik am Vorgehen des Unternehmens. Der 50-Millionen-Dollar-Deal, den „The Daily Wire“ ihm angeboten hätte, wurde von ihm als Symbol einer unheilvollen Anbiederung der konservativen Rechten an die Regeln der Linken angeprangert. Fest machte er das an einer Klausel des Angebots, in welcher mediale Statistiken in den sozialen Netzwerken Einfluss auf die Bezahlung nehmen würden. Wenn er für Youtube unliebsame Inhalte veröffentlichen würde, würde das also direkten Einfluss auf seinen Gehaltszettel nehmen. Die „Big Con“ träten in eine unheilvolle Verbindung mit „Big Tech“, polemisierte Crowder.

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Die Diskussion zeugt von bemerkenswerten politischen Entwicklungen: Zum einen zeigt sich, welches kommerzielle Potenzial die Robin Hoods des Internets und des anti-linken Widerstands in den Staaten mittlerweile haben. Wenn schon Crowder einen 50-Millionen-Deal ablehnt, kann man sich vorstellen, wie viel „Daily Wire“ dem Internet-Phänomen Jordan Peterson geboten haben muss, welcher seit Sommer 2022 mit im Team ist. Widerstand lohnt sich jetzt – zumindest finanziell.

Kommerzialisierung konservativer Meinungen

Ob nun das Vorgehen Shapiros und seines Mitgründers Boreings gerechtfertigt ist oder nicht, ist daher weniger interessant als die dahinterstehende Kritik, dass die Kommerzialisierung konservativer Meinungen dazu führt, dass diese weniger echt und weniger frei würden und schließlich der immer größer werdenden Gruppe von Anhängern nach dem Mund redeten.

Denn dass in Amerika die Anzahl derer wächst, welche sich öffentlich vom linken Mainstream abheben, den Narrativen der linken Eliten nicht folgen und Black Lives Matter, Planned Parenthood oder die Regierungsnähe verschiedener LGBTQ-Organisationen kritisch sehen, zeigt sich eben nicht zuletzt anhand der Klickzahlen der „rechten Stars“ wie Candice Owen, Matt Walsh oder Ben Shapiro.

Kann politische Meinungsbildung unabhängig sein?

Während eben diese sich noch vor wenigen Jahren als mutige Rebellen im Kampf gegen die übergroße Macht des Mainstreams inszenierten – und dies sicherlich zu Recht –, kommen sie jetzt in eine Situation, in welcher sie selbst zumindest einen „Nebenstream“ darstellen und damit politische Bedeutung bekommen.

Für Deutsche, die sich hier dem konservativen Lager zuordnen – welches sich mit dem amerikanischen in vielerlei Hinsicht nicht deckt –, ist diese Entwicklung nicht nur deswegen interessant, weil Amerikas Trends mit Verzögerung auch im politischen Spektrum Deutschlands ankommen. Auch stellt die in Deutschland kaum vorstellbare Monetarisierung rechter oder nicht-linker Meinungen auch hierzulande die Frage, wie politische Meinungsbildung überhaupt unabhängig sein kann. Das Internet-Märchen des Freidenkers mit Handykamera scheint jedenfalls angekratzt.

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