Moskaus Kriegsziele hat der russische Außenminister Sergej Lawrow in dieser Woche auf seiner Afrika-Reise präzisiert: "Wir helfen dem ukrainischen Volk auf jeden Fall, sich von dem absolut volks- und geschichtsfeindlichen Regime zu befreien", sagte Lawrow in Kairo. Das russische und das ukrainische Volk würden künftig zusammenleben. Damit widerlegte der Außenminister Russlands erneut jene, die meinen, der Kreml werde sich mit der Eroberung des Donbass bescheiden oder sei zu einem Kompromissfrieden bereit.
Lawrow bestätigte die Befürchtungen, Moskau plane die Besetzung der gesamten Ukraine, einen Sturz der Regierung in Kiew und die Zerschlagung der ukrainischen Staatlichkeit. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verurteilte die Äußerungen Lawrows. Sie hätten "noch einmal die tiefe Verachtung der russischen Führung für die demokratische Selbstbestimmung der Ukraine gezeigt", so Baerbock. "Niemand kann nun noch behaupten, Russland ginge es um irgendetwas anderes als die völlige Unterwerfung der Ukraine und seiner Menschen."
Krieg gegen das ukrainische Volk
Russland führe einen Krieg gegen das ukrainische Volk und plane einen Völkermord, meinen auch die Bischöfe der mit Rom unierten ukrainischen Katholiken des byzantinischen Ritus in einem am Montag veröffentlichten gemeinsamen Hirtenbrief. Wörtlich heißt es darin: "Die russische Führung versucht, die ukrainische Staatlichkeit zu zerstören und uns unseres Namens zu berauben." Sie betrachte die Ukraine "als Kolonie, als Nicht-Staat, der keinen Platz auf der politischen Weltkarte verdient".
Auch auf die Ursache der Aggression gegen ihr Land gehen die ukrainischen Bischöfe ein: "Russland versucht, seinen imperialen Appetit zu stillen." Um selbst groß zu sein, strebe Russland nach Kolonien und versklave Länder. "Die koloniale Völkermord-Logik diktiert Taktiken der verbrannten Erde, die niemanden und nichts verschonen." Die Ukraine verteidige sich, "weil ihre Menschen sich ein für allemal geweigert haben, Sklaven zu werden".
Die katholischen Bischöfe der unierten Ukrainer versichern, die Ukraine wolle Russland weder erobern noch demütigen, aber der Nachbar müsse "seine Jahrhunderte alten Versuche, die Ukraine zu versklaven und zu zerstören, beenden, sich von der Pathologie des Imperialismus befreien und ein Rechtsstaat werden". Schwere Vorwürfe erheben die Bischöfe auch gegen Putins Truppen: "Die russische Armee tötet Unschuldige und vergewaltigt die Wehrlosen, entführt Kinder und deportiert die Besetzten, foltert Gefangene und lässt die Belagerten aushungern, stiehlt das Getreide, das wir anbauen, und plündert unsere Häuser, annektiert Land und zerstört beschlagnahmte Unternehmen, zündet friedliche Städte an und terrorisiert deren Einwohner." Dieser Krieg werde vom ersten Tag an nicht gegen die Armee der Ukraine, sondern gegen das Volk geführt.
"Moralische Verpflichtung", die Aggression abzuwehren
Die Welt habe "eine moralische Verpflichtung, diese Aggression gegen die Ukraine abzuwehren", heißt es in dem Hirtenbrief. Russlands Invasion habe die Ukraine in eine humanitäre, wirtschaftliche, demografische und ökologische Katastrophe geführt. Bis zu neun Millionen Ukrainer hätten ihre Heimat verlassen, zwei Millionen Kinder und Erwachsene seien gegen ihren Willen nach Russland deportiert worden, mehr als 15 Millionen Menschen in der Ukraine seien auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die russisch-orthodoxe Kirche müsse aufhören, "die Häresie der russischen Welt ideologisch zu fördern", fordern die ukrainischen Bischöfe. Derzeit führe die russische Orthodoxie ihre Gläubigen "in die moralische Dunkelheit von Gewalt, Aggression und Kriegsverbrechen". Katholische Pfarreien in der Ukraine seien besetzt und geplündert worden. Nach offiziellen Angaben des ukrainischen Amtes für ethnische Angelegenheiten und Gewissensfreiheit hat die russische Armee seit Beginn der Invasion am 24. Februar 173 christliche sowie je fünf jüdische und islamische Sakralbauten beschädigt oder zerstört.
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