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Der § 218 StGB steht vor dem Aus

Wer weiß schon, wie es klimatisch um den Herbst bestellt sein wird? Biopolitisch ist das anders. Da ist schon jetzt klar: Der Herbst wird heiß.
Demonstration gegen § 218
Foto: Paul Zinken (dpa) | Streicht die Ampelregierung den §218 aus dem Strafgesetzbuch? Biopolitisch wir der Herbst heiß.

Biopolitisch wird dieser Herbst heiß. In der Union gibt es starke Kräfte, die nicht länger gewillt scheinen, tatenlos zuzusehen, wie die Ampelregierung sich anschickt, nach dem Werbeverbot für Abtreibungen auch noch das prinzipielle, obgleich leicht zu umgehende Verbot vorgeburtlicher Kindstötungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Der interne „Brandbrief“, den führende Unionspolitiker vergangene Woche dazu an ihre „lieben Kolleginnen und Kollegen“ in der Fraktion schickten, spricht diesbezüglich eine sehr beredete Sprache. Vor allem aber trifft er den Nagel auf den Kopf: Gehe es, heißt es dort sinngemäß, nur um „Schwangerschaftsgewebe“, müsse „jede Einschränkung der freien Entscheidung“ einer Schwangeren „als unberechtigte Einmischung“ betrachtet werden.

Es geht um Menschen im Frühstadium ihrer Entwicklung

Nur geht es darum eben nicht. Es geht um Menschen im Frühstadium ihrer Entwicklung. Dass es darum geht, ist weder eine Erfindung von Lebensrechtlern, noch von Kirchenmännern, noch von Unionsabgeordneten, sondern ein wissenschaftlich hinreichend gesichertes Faktum. Natürlich lassen sich Fakten bestreiten. Auch dieses Faktum wird bestritten. Allerdings nur von jenen, die sich des Embryos entweder entledigen oder ihn vernutzen wollen. Allgemeiner formuliert, von solchen, die persönliche Interessen besitzen und verfolgen. Mehr noch: Auf dem gesamten Planeten gibt es niemanden, der Abtreibungen, die Embryonen verbrauchende Stammzellforschung und Reproduktionsmedizin ablehnt, aber öffentlich anzweifelt, dass ein menschlicher Embryo bereits Mensch sei.

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Dabei gäbe es beinah für alles gute Gründe: Die Gefährdung der Gesundheit von Frauen etwa; höhere Fehlbildungsgraten bei im Labor erzeugten Kindern; die sozialpolitische Förderung „verspäteter Familien“; die Verbrennung von Forschungsmilliarden, die an anderer Stelle dringend benötigt werden und dergleichen mehr.

Da mag es ehrenwert sein, wenn etwa die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, die Bonner Medizinethikerin Christiane Woopen, als Mitglied der von der Ampel berufenen Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ hofft, die „enorme Polarisierung und teils Aggressivität in der Diskussion“ mildern zu können.

Wünsche an der Wirklichkeit orientieren

Daran, dass wenn der Embryo aufgrund der biologischen Fakten als Mensch betrachtet werden muss, ihm auch der Schutz der Rechtsordnung gebührt, kommt aber auch sie nicht vorbei. Ebenso wenig wie daran, dass die Aufhebung des prinzipiellen Verbots der Abtreibung, unschuldige und wehrlose Menschen de facto rechtlos und damit zugleich den Rechtsstaat als solchen in Frage stellen würde.

Im Grunde ist es ganz einfach: Die Legitimität der Interessen von Menschen ergibt sich aus dem ontologischen und moralischen Status dessen, auf den sie sich beziehen. Wer dagegen wie Bündnis 90/Die Grünen meint, anhand der Interessen den moralischen oder gar den ontologischen Status dessen festlegen zu können, auf den sie sich richten, schafft Anlass für Widerspruch und Streit.

Für eingefleischte Pippi Langstrumpf-Fans mag das schwer zu verstehen sein. Aber die Wirklichkeit richtet sich nun einmal nicht nach unseren Wünschen. Wir müssen unsere Wünsche an der Wirklichkeit orientieren. Ignorieren wir dies, schaden und zerstören wir, andere(n) und uns selbst.

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Stefan Rehder Bündnis 90/ Die Grünen Lebensschutz Schwangerschaftsabbruch Stammzellenforschung

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