Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung BRICS-Treffen

BRICS-Treffen: Anti-West-Gipfel von Johannesburg

Das diesjährige BRICS-Treffen legte trotz neuer Mitgliedsstaaten vor allem zahlreiche Uneinigkeiten offen.
Brics-Gipfel in Südafrika
Foto: GIANLUIGI GUERCIA (Pool AFP/AP) | Großer Mann – ganz klein: Beim BRICS-Gipfel in Johannesburg zog es der per internationalem Haftbefehl gesuchte russische Diktator Wladimir Putin vor, sich aus Moskau zuschalten zu lassen.

Monatelang hatte das Treffen der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vergangene Woche in Johannesburg die öffentliche Diskussion bestimmt. Im Fokus stand die Frage: Kommt er oder kommt er nicht? Folgt der russische Präsident Wladimir Putin der Einladung des südafrikanischen Staatspräsidenten Cyril Ramaphosa zur Teilnahme am Gipfeltreffen? Wird Putin also nach Südafrika reisen oder wird er nur virtuell teilnehmen? Wird der Gipfel vielleicht nach China verlegt? Denn dieses Land hat das Römische Statut nicht unterzeichnet – und müsste folglich Putin nicht verhaften. Gegen den russischen Präsidenten liegt wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor, er hätte beim Betreten südafrikanischen Bodens verhaftet werden müssen. Ende aller Fragen: Letztendlich zog es Putin vor, am dreitägigen Treffen im Tagungsgebäude Sandton Convention Centre nur per Videoschalte teilzunehmen, leibhaftig vor Ort dagegen war Außenminister Sergej Lawrow.

Putin nur per Video zugeschaltet

Bisher ist der russische Präsident in kein Land gereist, das den IStGH-Vertrag unterzeichnet hat, seit er wegen Kriegsverbrechen beschuldigt wurde. Das Gericht in Den Haag hatte den Haftbefehl im März erlassen. Der Kreml-Chef nutzte das Treffen per Video, um den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Obwohl er selbst den Einmarsch ins Nachbarland am 24. Februar 2022 befohlen hatte, schob er einmal mehr dem Westen die Schuld zu und behauptete: „Das Bestreben einiger Länder, ihre Vorherrschaft in der Welt zu bewahren, hat zu der schweren Krise in der Ukraine geführt.“ Bei den anderen Staats- und Regierungschefs des Blocks schien dies allerdings keinen Anklang zu finden. Den nächsten Gipfel der BRICS-Staaten will Putin selbst ausrichten: Er lud die Vertreter der anderen Mitgliedstaaten für Oktober 2024 in die russische Stadt Kasan ein. Das konkrete Datum solle über diplomatische Kanäle abgesprochen werden. Hier wird auch ein Zahlungsverkehrssystem zu prüfen sein, bei dem Transaktionen nicht mehr in US-Dollar, sondern in nationalen Währungen abgewickelt werden sollen. Eine Alternative auszubauen dürfte schwer sein: Das Währungssystem bleibt weiterhin stark vom Dollar dominiert.

Lesen Sie auch:

Putin, wieder in einer Video-Botschaft, dankte den BRICS-Staaten für die Erweiterung und lobte die Verhandlungsführung des südafrikanischen Präsidenten. Südafrika hat derzeit den Vorsitz des Staatenbunds inne. Zweifellos hat der innenpolitisch eher erfolglose Ramaphosa sich auf dem internationalen Parkett seinen Landsleuten als bedeutender Staatsmann präsentieren können, meint gegenüber der „Tagespost“ Gregor Jaecke, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Südafrika. „Aus südafrikanischer Sicht waren die Ergebnisse des Gipfels ein Erfolg. Man war ein geschätzter Gastgeber und Präsident Ramaphosa ein professioneller Verhandlungsführer, wenn es darum ging, zwischen unterschiedlichen Positionen zu vermitteln. Dennoch gilt es - trotz Prestigegewinn durch eine gelungene BRICS-Veranstaltung - sich mit aller Kraft den notwendigen innenpolitischen Wirtschaftsreformen zuzuwenden, denn ohne eine Politik, die auf Wachstum und Beschäftigung setzt, werden die zahlreichen Probleme des Landes nicht gelöst werden.“

Eines der Hauptthemen des Gipfels war die Erweiterung des Bündnisses: Die Gruppe der Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika habe beschlossen, Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien als „vollwertige Mitglieder“ einzuladen, sagte der südafrikanische Präsident Ramaphosa. Die sechs Länder sollten der Staatengemeinschaft zum 1. Januar 2024 beitreten, kündigte er an. Es wäre die zweite Erweiterung für die Gruppe, die 2009 gegründet wurde. Südafrika kam erst im Jahr darauf dazu.

Die BRICS-Gruppe wächst ab Januar 2024

In der erweiterten BRICS-Formation sind autoritär regierte Staaten in der Mehrheit, in denen Menschenrechte keinen besonderen Stellenwert genießen: China, Russland, Ägypten, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Iran. Aktuell ist die UNO schockiert über den Bericht der Organisation Human Rights Watch, wonach Hunderte von Migranten vom saudi-arabischen Grenzschutz getötet worden seien. Die vier übrigen Staaten der Gemeinschaft - Brasilien, Indien, Südafrika sowie der Neuzugang Argentinien - gelten als schwache Demokratien. Südafrika hat sich nach Angaben von Jaecke insbesondere für die Aufnahme von Ägypten und Äthiopien als weitere afrikanische Länder eingesetzt. „Die Kap-Republik stand der Erweiterung schon immer positiv gegenüber, da diese dazu beitragen soll, den sogenannten ,Globalen Süden' in seinem Bestreben zu bestärken, die globalen politischen und finanziellen Institutionen neu zu gestalten.“

Im Vorfeld des Gipfeltreffens hatten offiziell über zwanzig 20 Länder den Beitritt zu den BRICS beantragt, darunter Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Indonesien, Iran, Kuba, Nigeria, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Vietnam. Tendenziell gegen eine Erweiterung waren übrigens zu Beginn des Gipfels Indien und Brasilien. Sie befürchteten, dass dies ihren Einfluss in der Gruppe verringern könnte und dass dieser Prozess in erster Linie China in seinem Bestreben, seinen globalen Einfluss zu erhöhen, zu Gute käme - was auch Pekings Interesse ist. Indien wie auch Brasilien gaben im Laufe des Gipfels ihre ablehnende Haltung auf und befürworteten letztlich die Erweiterung. Besonders China hat sich in der Vergangenheit gegenüber der südafrikanischen Regierung stark für den Ansatz der Erweiterung eingesetzt, erläutert Jaecke gegenüber dieser Zeitung weiter: „Man hofft zudem auf eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in den Bereichen Politik, Sicherheit und Strategie. Chinas. Präsident Xi schlug sogar eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen den fünf Mitgliedsstaaten vor.“

Für Südafrika wird es vor dem Hintergrund ihres erklärten außenpolitischen Kurses der Blockfreiheit zum einen wichtig sein, sicherzustellen, dass die neuen Mitglieder, die zu den BRICS gehören, keine offenkundig anti-amerikanischen oder anti-westlichen Positionen in Schlüsselfragen von internationalem Interesse einnehmen. Nach Meinung des KAS-Repräsentanten in Südafrika birgt insbesondere die Aufnahme des Iran (den die USA als „Schurkenstaat“ bezeichnen und gegen den sie Sanktionen verhängt haben) die Gefahr, dass sich die Beziehungen zu den USA und dem Westen im Allgemeinen verschlechtern. Zum anderen werde Südafrika daran gelegen sein, ein Gleichgewicht zwischen Ländern mit anti-amerikanischen oder anti-westlichen Positionen (wie dem Iran) sowie Ländern mit offensichtlich multipolarer Ausrichtung zu gewährleisten. Allerdings: Durch die Neu-Aufnahme von zwei afrikanischen Staaten wird Südafrikas panafrikanischer Führungsanspruch in Frage gestellt. Bisher war das Land am Kap innerhalb der BRICS-Gruppe die einzige Stimme des afrikanischen Kontinents.

Bemerkenswert ist auf jeden Fall, wer nicht Mitglied wird: etwa aufstrebende Wirtschaftsmächte wie Indonesien oder Südkorea. Damit ist die Erweiterung vor allem eines: Eine geopolitische Positionierung, die das Ziel hat, die anti-westliche Haltung weiter auszubauen. Mit Äthiopien und dem Iran kommen neben dem Gründungsmitglied Russland zwei Staaten in den BRICS-Club, die der Westen kritisch sieht und teils auch sanktioniert. Bezeichnend ist, dass Brasilien und vor allem Indien diesem Kursschwenk zugestimmt haben. Bisher hatten sich beide nicht klar einem der beiden Lager zuordnen lassen.

Außer Ressentiments kaum Gemeinsamkeiten

Fraglich ist nun, wie geschlossen das Bündnis auftreten wird. Schließlich ist die Gruppe kein homogener Block – demokratisch gewählte, autoritäre und theokratische Regierungen kooperieren miteinander. Konflikte zwischen Indien und China, den beiden Schwergewichten im Club, sind immer noch nicht beigelegt und führen immer wieder zu militärischen Grenzscharmützeln im Himalaya.  Mit Saudi-Arabien und dem Iran dürfte das Konfliktpotential weiter zunehmen.

Skeptisch sieht auch das katholische Hilfswerk Misereor die angekündigte Erweiterung des BRICS-Staatenbundes. „Wir beobachten mit Sorge, dass unter den Ländern, die sich nun für einen Beitritt im BRICS-Bündnis interessieren, ausgerechnet solche mit eingeschränkten Demokratien beziehungsweise Theokratien sind", sagt die Abteilungsleiterin für Politik und Globale Zukunftsfragen, Kathrin Schroeder. „Es ist zu befürchten, dass durch eine engere Zusammenarbeit von Regierungen aus solchen Staaten die Akzeptanz für die Achtung, Schutz und Gewährleistung der Menschenrechte noch stärker unter Druck geraten". Auch könnten gemeinsame Anstrengungen zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele gefährdet werden. Misereor setze große Hoffnungen in multilaterale Prozesse, „in denen im Prinzip jedes Land dasselbe Stimmgewicht hat“.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Carl-Heinz Pierk Bischöfliches Hilfswerk Misereor Cyril Ramaphosa Konrad-Adenauer-Stiftung Kriegsverbrechen Sergej Lawrow Südafrikanische Regierungen UNO Wladimir Wladimirowitsch Putin

Weitere Artikel

Die Frage, ob bei Wladimir Putins geplantem Besuch in Südafrika im August die Handschellen klicken werden, bleibt offen.
09.06.2023, 13 Uhr
Carl-Heinz Pierk
Trotz russischer Antikolonialismus-Rhetorik hoffen die Führer Afrikas auf ukrainisches Getreide.
04.08.2023, 13 Uhr
Stephan Baier

Kirche

Wie passt der Tod Christi in den Plan Gottes? Darüber spricht Margarete Strauss in der 118. Folge des Katechismuspodcasts.
21.09.2023, 14 Uhr
Meldung
Emmanuel Macron verschiebt die Debatte um das Euthanasie-Gesetz auf nach dem Papstbesuch. Der Heilige Vater wird sich durch solche Manöver kaum an der Nase herumführen lassen.
21.09.2023, 11 Uhr
Franziska Harter