Pakistan

Blasphemiegesetze in Pakistan: Tödliche Waffe

Die Verschärfung der Blasphemiegesetze setzt Minderheiten noch stärker als bislang unter Druck.
Proteste nach Freispruch von Christin in Pakistan
Foto: Pervez Masih (AP) | Bereits 2018 protestierten in Pakistan radikale Muslime scharf gegen die Freilassung der Christin Asia Bibi.

Kritische, belustigende oder abfällige Aussagen über Gefährten oder Angehörige des islamischen Propheten Mohammed sollen in Pakistan künftig noch strenger bestraft werden. Die pakistanische Nationalversammlung hat am 17. Januar eine Gesetzesänderung verabschiedet, derzufolge entsprechende Straftatbestände mit mindestens zehn Jahren Haft anstatt drei Jahren wie bislang geahndet werden sollen. Pakistanische Medien berichteten, dass der Beschluss einstimmig erfolgte.

Die Besorgnis unter Christen ist groß

Die Menschenrechtskommission des Landes verlautbarte, die Nachricht über die Verschärfung mit „tiefer Besorgnis“ aufgenommen zu haben. Der Kommission zufolge werden dadurch sehr wahrscheinlich die Angehörigen bedrängter religiöser Minderheiten weiter unter Druck geraten. Obwohl dies der Verfassung des südasiatischen Staates widerspricht, soll gemäß der Neufassung auch das Recht, nach entsprechender gerichtlicher Prüfung gegen Kaution frei zu kommen, aufgehoben werden.

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Aneeqa Anthony, eine pakistanische Menschenrechtsanwältin aus Lahore (Provinz Punjab), rechnet nicht damit, dass die Kautionsbestimmung tatsächlich geltendes Recht wird. Sie werde weiterhin versuchen, fälschlich wegen Blasphemie (Gotteslästerung) Beschuldigte, gegen Kautionszahlung vor einer Haft zu bewahren, in der sie stets der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer eines Lynchmords zu werden. Auf Nachfrage der „Tagespost“ nach der Veranlassung für die Verschärfung, ob etwa tatsächlich provozierende Äußerungen über Persönlichkeiten aus der islamischen Geschichte überhandnähmen, antwortete sie: „Was die Beschuldigten betrifft, die ich vertrete, so wagten sie überhaupt keine Äußerungen über die islamische Religion.“

Vorwürfe regelmäßig konstruiert

Die Vorwürfe seien regelmäßig konstruiert, ob aus persönlicher Rache oder politischer Motivation. Auch ohne Verschärfung bieten die Blasphemiegesetze in ihrem Land eine Steilvorlage dafür, um etwa Christen oder Ahmadi-Muslime auszuschalten. Eine der treibenden gesellschaftlichen Kräfte hinter der Zementierung und gar Verschärfung der umstrittenen Blasphemiegesetze ist die Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), die zeitweise nach massiven regierungskritischen Protesten verboten war. Sie ist aus einer Bewegung entstanden, die sich dem Ziel verschrieben hat, das islamische Scharia-Recht als Hauptquelle der Gesetzgebung in Pakistan durchzusetzen. Obschon sie derzeit nur im Provinzparlament von Sindh mit drei Sitzen vertreten ist, setzte sie bereits mehrfach ihre Interessen mittels lautstarker landesweiter Proteste durch, so etwa im April 2021, nachdem sich Staatspräsident Emmanuel Macron für die Wahrung bürgerlicher Freiheiten und damit gegen ein Verbot von Mohammed-Karikaturen ausgesprochen hatte.

Ein TLP-Mitbegründer rief auch zum Mord an Richtern des Obersten Gerichtshofs Pakistans auf, die die Christin Asia Bibi im Oktober 2018 von dem Vorwurf, den islamischen Propheten Mohammed beleidigt zu haben, freisprachen. Sie verwiesen in der Urteilsbegründung darauf, dass die vorausgegangene Verurteilung auf einem Irrtum beruhte: Bibi hatte nicht über Mohammed gelästert, sondern sich zu Jesus Christus bekannt. Die TLP hat zudem nachweislich bereits zu Lynchmorden angestachelt oder entsprechende Gewaltakte glorifiziert.

Der Einsatz für mildere Gesetze macht zur Zielscheibe

Bereits die Gründung der Bewegung, aus der die Partei entstand, hängt mit einer solchen Tat zusammen: Am 4. Januar 2011 ermordete der Leibwächter Mumtaz Qadri den Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, nachdem dieser Asia Bibi im Gefängnis besucht und sich für ihre Freilassung eingesetzt hatte. Auf die Hinrichtung des Mörders am 29. Februar 2016 folgten Proteste, die die Bewegung TLP hervorbrachten. Wer für Milde in Blasphemieverfahren oder gar die Abschaffung dieser drakonischen Gesetze eintritt, macht sich aus Sicht ihrer Anhänger auch der Gotteslästerung schuldig. Beschuldigte, ihre Familien und Nachbarn, Verteidiger und Richter sind regelmäßig Morddrohungen ausgesetzt. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main sorgt sich vor dem Hintergrund der neuerlichen Gesetzesänderung konkret um den inhaftierten pakistanischen Christen Zafar Bhatti. Ohne bereits in Kraft getreten zu sein, entfalte das Gesetz möglicherweise seine Wirkung bei der Entscheidungsfindung des zuständigen Gerichts.

Der inzwischen 59-Jährige Gründer einer christlichen Hilfsorganisation wurde am 11. Juli 2012 von dem Vertreter einer radikal-islamischen Gruppe angezeigt, in einer Kurznachricht per Mobiltelefon die Mutter des Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Obwohl ihm dies nach noch immer geltendem Recht höchstens drei Jahre Gefängnis hätte einbringen können, verurteilte ihn die erste Gerichtsinstanz schon zu lebenslanger Freiheitsstrafe.  Nachdem er bereits sieben Jahre hinter Gittern gesessen hatte und dort Misshandlungen und Mordversuchen ausgesetzt war, stellte ihm ein Richter im April 2019 die Freilassung in Aussicht. Doch am 3. Januar 2022 wurde vom Gericht in Rawalpindi die Todesstrafe angeordnet: Die IGFM befürchtet, dass an Bhatti nicht weniger als ein Exempel statuiert werden soll.

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