Das durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dezimierte Volk der Jesiden trauert um sein geistliches Oberhaupt, Baba Sheikh: Khurto Hajj Ismail ist am vergangenen Donnerstag in einem Krankenhaus in Erbil, Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, im Alter von 87 Jahren verstorben. Er geht als Reformer in die Geschichte ein.
Eine der ältesten Religionen der Welt
Aufgrund seines Entschlusses, die ehemaligen jesidischen IS-Sklavinnen wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, wurden aus besiegten Opfern Überlebende und Zeuginnen der Anklage. Der Glaube der Jesiden, der einigen Wissenschaftlern zufolge auf iranische Mythologie zurückzuführen ist, zählt zu den ältesten Religionen der Welt und stützt sich nicht auf eine heilige Schrift. Vielmehr obliegt dem geistlichen Oberhaupt die Bewahrung und Auslegung der Traditionen des Glaubens und der Gebote.
Die Jesiden sind oft schon zu Opfern von Versuchen geworden, sie auszulöschen, eigenen Angaben zufolge allein 73 Mal vor dem jüngsten Völkermord. Dieser begann, als am 3. August 2014 der IS in die Stadt Shingal und in oberhalb im Gebirge gelegene Ortschaften vordrang, Männer erschoss, Kinder erschlug, Jungen zwangsrekrutierte, sowie Mädchen und Frauen versklavte. Rund 6 400 Jesidinnen verschleppten die bärtigen Kämpfer. Nur die Hälfte kehrte nach Flucht oder Befreiung zurück. Die Jesiden erkannten dahinter eine düstere, strategische Logik: Die Jesiden heiraten nur untereinander. Die Verbindung mit einem nicht-jesidischen Partner oder einer Partnerin hat den Ausschluss aus der Gemeinschaft zur Folge. Da die Verschleppten nun zwangsverheiratet und zwangsislamisiert wurden, wären sie, der Tradition folgend, verstoßen worden.
Einer der wichtigsten Führer der Jesiden
Baba Sheikh sorgte aber am 28. August 2014, nachdem zwei jesidische Mädchen aus der irakischen Stadt Falludscha gerettet worden waren, dafür, dass durch die Gewalt der Entführer keine Fakten geschaffen wurden. Mit einem der Taufe ähnlichen Wiederaufnahmeritual im zentralen Heiligtum von Lalisch ermöglichte er den Rückkehrerinnen ein zweites Leben als Jesidinnen. Die Hilfsorganisation „Free Yezidi Foundation“ mit Sitz in Amsterdam erklärte nun: „Baba Sheikh wird in unserer Geschichte als einem der wichtigsten Führer der Jesiden gedacht werden.“ Die Friedensnobelpreisträgerin und überlebende Jesidin Nadia Murad twitterte: „Der geistliche Führer der Jesiden verkörperte unsere Werte der Weisheit, Freundlichkeit und Toleranz. Er führte die Gemeinschaft mit gutem Beispiel voran und behandelte jesidische Überlebende mit Liebe und Respekt.“ Auf dem Friedhof seiner Vorfahren wurde Baba Sheikh nun beigesetzt.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.