Entspannung im Libanon, Premierminister Saad Hariri ist unter dem Jubel der Bevölkerung gelandet und wieder im politischen Geschäft. „Wir sind alle Saad“ hatten Demonstranten in den letzten Tagen gerufen und auf Plakaten kundgetan, unter ihnen auch etliche Schiiten. Sie alle hatten Angst, dass der Rücktritt des sunnitischen Premiers das Land in einen neuen Krieg stürzen könnte. Die Umstände – Hariri hatte vor zwei Wochen von Riad aus seinen Rücktritt verkündet und war tagelang im Gästehaus der saudischen Regierung wie unter Hausarrest – legten es nahe und die Befürchtungen sind auch heute keineswegs vom Tisch. Zwar beruhigt der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Boutros Rai, in einem Gespräch mit Radio Vatikan die Gemüter mit der Versicherung, Hariri sei bereit, seinen Rücktritt zurückzunehmen, wenn es „Hoffnung auf eine neue Vision des politischen Lebens“ gebe. Wie groß die Hoffnung ist, könnte sich in dem Gespräch Hariris mit Staatspräsident Michel Aoun andeuten, denn Aoun gilt als Gefolgsmann der schiitischen Hisbollah und der Streit über die Machtfülle und Umtriebe der von Iran gestützten und gelenkten Schiiten im Libanon war Anlass für den Rücktritt. Kardinal Rai hatte Hariri in Riad getroffen und war anschließend auch von Kronprinz Salman empfangen worden, ein Novum in der Geschichte der christlich-islamischen Beziehungen im Nahen Osten. Hariri habe ihm erklärt, dass er durch die Rücktrittserklärung einen „positiven Schock“ hervorrufen habe wollen, sagte der Kardinal, „aber er hat sich zugleich bereit erklärt, in voller Übereinstimmung mit Präsident Michel Aoun seine Tätigkeit wieder aufzunehmen“.
Kardinal Rai wird heute Papst Franziskus ausführlich über seinen Besuch in Riad und die „neue Offenheit der Saudis“ gegenüber den Christen im Libanon und auch zu anderen Religionen berichten. Die Tür sei offen, um im Dialog über Religionsfreiheit, gegenseitigen Respekt und die Trennung von Staat und Religion weiterzukommen. Die Atmosphäre sei „ausgezeichnet“ gewesen. All das lässt sich jedoch von den innerislamischen Verhältnissen nicht sagen. Im Gegenteil, die Lage zwischen Schiiten und Sunniten ist gespannt wie nie. Westliche Geheimdienste hatten Hariri vor einem Anschlag auf ihn gewarnt. Die Gefahr ist nicht gebannt. Ein politischer Mord würde das Land in Unruhen und Bürgerkrieg stürzen, aus denen die Hisbollah dann als Sieger hervorgehen könnte. Mit anderen Worten: Die Verfassungshülle, die das Land der Zedern bisher vor einer Teilung oder der totalen Machtübernahme durch die Schiiten bewahrte, würde kriegsbedingt zerstört. Diese auf den Tag genau 74 Jahre alte Verfassung sieht vor, dass der Präsident ein Christ, der Premier ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit ist. Die Verfassung war noch unter der Federführung der damaligen Mandatsmacht Frankreich ausgearbeitet worden und Frankreich sieht sich immer noch in einer gewissen Schutzpflicht oder besonderen Beziehung zum Libanon. Das wurde auch in der Affäre Hariri deutlich. Präsident Macron stattete nach der Einweihung eines arabischen Louvre in den Emiraten auch Saudi-Arabien einen Besuch ab und man kann davon ausgehen, dass sein Wort bei Kronprinz Salman Gewicht hatte. Hariri machte jedenfalls auf seiner Rückkehr erst einmal Station in der französischen Hauptstadt.
Aber es geht keineswegs nur um die Machtverhältnisse im Libanon. Wie immer, wenn es im Libanon kracht, werden Stellvertreterkriege geführt. In diesem Fall steht die Auseinandersetzung unter dem Schatten des Jahrhundertringens zwischen Sunniten und Schiiten, beziehungsweise der Führungsmächte dieser islamischen Konfessionen in der Golfregion, Iran und Saudi-Arabien. Die libanesische Armee ist gespalten oder unter der Fuchtel der Hisbollah, der Libanon ist de facto eine rechtsfreie Zone ohne Gewaltmonopol des Staates. Dorthin kehren aber immer mehr Hisbollah-Kämpfer aus Syrien zurück, kampferprobt und bereit, den Libanon ganz zu erobern. Gleichzeitig sucht das iranische Regime einen Zugang zum Mittelmeer. Die Russen wollen ihnen die Nutzung des syrischen Tiefseehafens Tarsus und des Luftwaffenstützpunktes in Latakieh nicht gewähren. Also bleibt ihnen für einen Zugang zur Levante und der Ausdehnung des Schiitenreichs nur die Küste des Libanon. Außerdem wollen die Iraner vollendete Tatsachen schaffen, bevor Washington aus dem Atomdeal aussteigt und sich wieder zur Schutzmacht des Libanons und der Sunniten aufschwingt. Zwar will sich im Libanon niemand auf die Amerikaner verlassen – Washington hat das Land schon einmal im Stich ge- und den Syrern überlassen. Es ist jedoch keine Alternative in Sicht. Frankreich kann diplomatisch verhandeln, allein Kriege in der Region führen kann es nicht. Es ist in Afrika zu sehr eingebunden.
Hariris „positiver Schock“ hat dem Land eine Atempause verschafft und die versteckte Front zwischen Sunniten und Schiiten aufgedeckt. Längst haben sich neue Allianzen gebildet, zu denen auch der saudische Kronprinz steht. Das sind auf der einen Seite die Saudis, Israel, die libanesischen Christen und die sunnitisch geprägten Staaten der Region, und auf der anderen die Regime in Teheran, Damaskus und Bagdad. Diese machtpolitischen Allianzen haben auch die neue Offenheit der Saudis gegenüber den Christen bewirkt. Wie tragfähig sie sind, muss sich noch erweisen.