Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Afrikas wirtschaftliche Entwicklung

Afrika: Abhängigkeitsfalle Entwicklungshilfe?

Trotz milliardenschwerer Entwicklungsgelder kommt Afrika kaum voran. Warum die Unterstützung nicht fruchtet – und was Europa besser machen kann.
Außenministerin Annalena Baerbock in Ouallam
Foto: IMAGO/Florian Gaertner (www.imago-images.de) | Seit der Reise von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) nach Mali und in den Niger in 2022 hat sich die Lage in Afrika massiv verschlechtert.

Es war eine idealistisch geprägte Vision: Die afrikanischen Staaten bekommen ihre Unabhängigkeit, die westlichen Staaten zahlen ihnen Unterstützung, um nach und nach auf eigenen Beinen zu stehen. Und die Europäische Union investiert weiterhin in diese Idee: bis 2027 sind rund 29,2 Milliarden Euro Entwicklungshilfe für Sub-Sahara-Afrika vorgesehen. Das sind elf Prozent mehr als die Union an Hilfen im vorherigen Sechs-Jahre-Plan zur Verfügung gestellt hatte. Damit ist die EU Afrikas größter Geber von Entwicklungshilfe. Das Geld soll vor allem für den Einsatz für Menschenrechte und Demokratie, Stabilität und Konfliktverhütung, Gesundheit, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, nachhaltige Energie und Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit eingesetzt werden.

Afrika tritt weitestgehend auf der Stelle

Doch praktisch treten viele Staaten auf dem Kontinent seit Jahrzehnten auf der Stelle – einzelne Staaten wie Ghana, Kenia, Uganda, Botswana, aber auch Ruanda, ausgenommen. Laut der Weltbank befinden sich immer noch 18 der 20 ärmsten Länder in Subsahara-Afrika: Vier von fünf Menschen in Afrika haben im länderübergreifenden Durchschnitt keinen Zugang zu qualitativ angemessener, bezahlbarer Basisgesundheitsversorgung. Die Lebenserwartung ist nirgends so niedrig wie südlich der Sahara und die Müttersterblichkeit nirgends so hoch.

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Wie kann das sein? Warum tragen die seit Jahrzehnten in den Kontinent gepumpten Entwicklungsgelder so wenige Früchte? Ein Grund ist tatsächlich die Entwicklungshilfe an sich: In den meisten Ländern des afrikanischen Kontinents existieren keine sozialen Sicherungssysteme, weniger als 20 Prozent der Bevölkerung Afrikas hat Zugang zu diesen. Zwar gibt es in Lesotho beispielsweise eine Grundrente, die aus Steuermitteln finanziert wird oder in Äthiopien ein Programm, das allen armen Familien einen Arbeitsplatz beim Aufbau von ländlicher Infrastruktur beschaffen soll. Doch zu großen Teilen werden die Kosten für ärztliche Behandlungen, Schulgelder, sowie finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen und Versorgung von Waisen und Witwen von NGOs gedeckt, die wiederum Mittel aus dem Entwicklungshilfe-Budget der EU beziehen. Entsprechend gering ist die Motivation der Länder, selbst soziale Sicherungen aufzubauen.

Der Exekutivdirektor von HelpAge Ghana, Ebenezer Adjetey-Sorsey, kritisierte, dass beim Thema soziale Sicherung immer wieder auf fehlende Haushaltsmittel verwiesen werde. Dabei könne vieles durch Umstrukturierung und Umverteilung von Mitteln umgesetzt werden. „Dazu bedarf es aber noch mehr politischen Willens und Anstrengung. Für viele afrikanische Regierungen sind Sozialsysteme noch keine Priorität und in den Staatshaushalten nicht vorgesehen“, bemängelt er. Warum auch? Da durch internationale Hilfsorganisationen die Sozialversorgung gedeckt ist, sehen sich afrikanische Regierungschefs nicht dazu gedrungen, selbst Geld in die Hand zu nehmen und Sozialsysteme aufzubauen.

Korruption: das "schwarze Loch" des Kontinents

Der größte Entwicklungshemmer Afrikas ist allerdings das „schwarze Loch“ des Kontinents: Rund 88 Milliarden Dollar frisst die illegale Verwendung von Geldern – Geldwäsche, Korruption, Veruntreuung – jährlich, mit steigender Tendenz. Das sind etwa doppelt so viele Mittel, wie der Kontinent aus der Entwicklungszusammenarbeit erhält. Korrupte Staatschefs wie der Ministerpräsident Äthiopiens, Abiy Ahmed, der sich Berichten zufolge aktuell einen milliardenteuren Palast bauen lassen soll, der „größer ist als Windsor, das Weiße Haus und der Kreml zusammen“, sorgen dafür, dass das Geld bei der Bevölkerung nicht ankommt.

Die USA stoppten kürzlich alle Nahrungsmittelhilfen für Äthiopien, nachdem eine interne Untersuchung ergeben hatte, dass gespendete Lebensmittel, die für Millionen von hungernden Menschen in Äthiopien bestimmt waren, „in großem Umfang" umgeleitet wurden. Auch der Familie des kürzlich gestürzten Präsidenten von Gabun, Ali Bongo Ondimba, wird seit Langem vorgeworfen, Gelder im großen Stil veruntreut zu haben. Sie gilt Berichten zufolge als eine der reichsten Familien der Welt, hat eine private Flugzeugflotte, etliche Luxusautos und soll laut der Nichtregierungsorganisation „Transparency International“ Dutzende Residenzen in Frankreich im Wert von vielen Millionen Euro besitzen.

Die Korruption hemmt die allgemeine Entwicklung

Die Korruption hemme auch die Arbeitsmotivation in der Bevölkerung, so der Völkerrechtler Gerd Hankel gegenüber der „Tagespost“: „Was zu Resignation und Untätigkeit führt, ist staatliche Willkür vor Ort, sind Korruption und Vetternwirtschaft. Die Menschen werden mutlos, weil sie machtlos sind.“

Da stellt sich die Frage: Waren die Milliarden der letzten Jahre einfach nur verpulvertes Geld? Und wie kann Entwicklungshilfe wirklich etwas verändern? Ein alternatives Modell legt den Fokus nicht auf humanitäre Hilfe, sondern auf Investitionen in den Privatsektor - eine Strategie, die China auf dem Kontinent seit Jahrzehnten verfolgt. Und auch Afrika selbst tritt mit neuem Selbstbewusstsein auf: Man will nicht mehr als der hilfsbedürftige Nachbar gesehen werden, sondern als Geschäftspartner auf Augenhöhe. Die Länder sind sich durchaus bewusst, wie sehr man sich in Abhängigkeiten von Europa, den USA, China und den Golfstaaten verstrickt hat und möchten sich nun davon freikämpfen.

Aber ist Afrika dem gewachsen? Der Kontinent verzeichnet auf den ersten Blick ein starkes Wirtschaftswachstum: Im Jahr 2022 hat das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Afrika geschätzt rund 7,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr betragen. Allerdings ist das Wachstum insbesondere dem niedrigen Ausgangsniveau geschuldet. Afrika ist nach wie vor der Kontinent mit dem niedrigsten Industrialisierungsgrad. Auch sind die meisten afrikanischen Länder noch immer weit von einem Strukturwandel entfernt und daher kaum in globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Außerdem basiert die Wirtschaftsleistung vieler afrikanischer Staaten hauptsächlich auf den Exporten von Rohstoffen – das Wirtschaftswachstum lässt sich also zu großen Teilen auf Preisanstiege bei Bodenschätzen zurückführen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Großteil der afrikanischen Wirtschaftsleistung auf nur wenige Staaten konzentriert. Doch es gibt auch Potenzial auf dem Kontinent: Laut der Weltbank könnte die potenziell größte kontinentale Freihandelszone der Welt den innerafrikanischen Handel bis 2035 um bis zu 81 Prozent steigern, größere und lukrativere Märkte schaffen und den Aufbau lokal verarbeitender Industrien fördern. Das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) plant deswegen in seiner Afrika-Strategie neben den klassischen Themen eine neue Schwerpunktsetzung. Demnach plant das BMZ einen „besonderen Fokus auf die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor setzen und private Finanzierungen fördern“ und den „Aufbau staatlicher Sozialsysteme“ zu unterstützen. Auch die EU möchte mit 150 Milliarden Euro unter anderem zum Aufbau von „nachhaltigen und widerstandsfähigen Volkswirtschaften“ in Energie, Verkehr und digitale Infrastruktur investieren.

Afrika und die Welt müssen umdenken

Damit die Wirtschaft in Afrika allerdings nachhaltig wachsen kann, benötige es „Chancengleichheit auf dem Weltmarkt“ und „keinen Protektionismus gegen afrikanische Produkte“, so Hankel. Und auch immer wieder aufflammende Konflikte und Korruption hemmen wirtschaftliche Investitionen auf dem Kontinent: „Afrika muss dafür sorgen, dass die einheimische Wirtschaft stärker wird und dass Investitionen ausländischer Unternehmen möglich sind. Dazu braucht es Rechtssicherheit und Transparenz. Ein korruptes Regime zieht keine Investitionen an und vertreibt die einheimische, junge Bevölkerung, die das Land wirtschaftlich aufbauen könnte und will“, betont der Völkerrechtler. Solange Korruption, hohe Verschuldung, sich immer wieder neu entzündende Konflikte sowie die Sozialversorgung durch internationale Entwicklungsgelder Afrika hemmen, bleibt Afrikas Emanzipation nur ein Traum.

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