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Über den Ameisenstaat

Menschliches Zusammenleben basiert nicht nur auf der Verfolgung von verschiedensten und zunächst einander widerstrebenden Einzelinteressen, sondern mehr noch zuvor auf dem Willen zum gemeinsamen Leben und dem Willen zur Kommunikation.
Ameisen auf Ameisenhaufen im Wald Ameisen auf Ameisenhaufen im Wald Copyright: xZoonar.com/WodickaxFotoTopx 18226191
Foto: IMAGO/Zoonar.com/Wodicka FotoTop (www.imago-images.de) | Ameisen werden von der Natur gezwungen, in einem hoch komplizierten System der Verständigung wechselnde und zum Überleben des Ameisenstaates notwendige Aktionen durchzuführen.

Vergangene Woche war ich für eine Woche Urlaub mit zwei Priesterfreunden auf Chios, einer herrlichen griechischen Insel in der nördlichen Ägäis, angeblich die Heimat Homers. Dort war viel Zeit und Muße, über die Ursprünge unserer Zivilisation nachzudenken. Plato notiert in seiner „Politeia“ sinngemäß: „Wir sitzen wie Ameisen oder Frösche um einen Teich.“ Das Bild der Ameisen und Frösche (um den Teich der Ägäis) erinnert unwillkürlich an die berühmte Bienenfabel des niederländischen Arztes Bernard Mandeville aus dem Jahr 1714: Dort beschreibt er die harmonische Verbindung privater Laster durch ein System gegenseitiger Hilfe zu am Ende öffentlichen Vorteilen. Es ist ein früher Vorläufer von Adam Smith und seiner unsichtbaren Hand zugunsten öffentlichen Wohlstandes in einer auf Eigeninteresse und Profitstreben aufgebauten Wirtschaftsordnung, auch der Sozialen Marktwirtschaft.

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Der Mensch braucht Politik

Aber Plato meint mit seinem Bild noch etwas anderes: Menschliches Zusammenleben basiert nicht nur auf der Verfolgung von verschiedensten und zunächst einander widerstrebenden Einzelinteressen, sondern mehr noch zuvor auf dem Willen zum gemeinsamen Leben und dem Willen zur Kommunikation. Das nämlich verbindet Plato mit den Ameisen wie auch den Fröschen: Beide stehen unablässig miteinander in Kommunikation, verständigen sich über gemeinsame Unternehmungen zu öffentlichen Vorteilen. Die moderne Forschung bestätigt das interessanterweise zumindest im Blick auf die Ameisen, die von der Natur gleichsam gezwungen werden, in einem hoch komplizierten System der Verständigung wechselnde und zum Überleben des Ameisenstaates notwendige Aktionen durchzuführen.

Dem Menschen mangelt es am Zwang zur geselligen Natur, er kann höchst ungesellig und mörderisch werden, er braucht den Willen zur zweiten Natur als Kultur: All das betont lange schon vor Christi Geburt Plato im antiken Griechenland. Der Mensch braucht Politik, Führung der „Polis“ als Führung eines Staates und Gemeinwesens zum allgemeinen Wohl. Und dazu braucht es auch gegenseitige Rücksichtnahme und auch oft Verzicht auf schnelle eigene Bedürfnisbefriedigung und kurzfristige Vorteilsnahme.

Solidarische Umverteilung in Europa

Solidarische Krankenversicherungen sind ein Beispiel dafür: Mancher zahlt und zahlt und bekommt nie eine adäquate Gegenleistung dafür wegen Todes bei Gesundheit. Solidarische Umverteilung in Europa ist ein anderes Beispiel. Und vieles mehr. Ameise werden durch die zweite Natur der Geselligkeit! Oder ganz schlicht, wie Thomas von Aquin nicht müde wird zu betonen: Der Mensch ist dem Menschen ein Freund, von Natur und Gottes Wille aus. Erst die Erbsünde macht daraus den Wolf. Und der soll überwunden werden durch Staat und Marktwirtschaft!

Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle.

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