Der Wirtschaft in Deutschland ging es viele Jahre gut: Manche Ökonomen behaupten gar, dass der Wohlstand in Deutschland nie größer war als in den Merkel-Jahren. Doch eben dieser Wohlstand hat Deutschland auch bequem gemacht. Eine Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte zeigt, dass Deutschland sich aus dem Schlafwagen verabschieden muss. Inmitten der auslaufenden Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges zeigen sich große Defizite in Deutschlands Wirtschaft.
Schlechtere Wachstumsaussichten, geringere Produktivitätsfortschritte und eine alternde Bevölkerung haben Deutschland an einen Scheideweg gebracht. In der Studie „Perspektiven 2030 – Wachstumschancen für Deutschland“ fordern die Experten klare wirtschaftspolitische Maßnahmen, um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten. Die Ökonomen sehen den Standort Deutschland vor einem „prägenden Jahrzehnt“.
Nachhaltige Wachstumspotenziale
Deutschland, so das Fazit, habe ein erhebliches Potenzial für Wohlstand und nachhaltiges Wachstum. Dazu bedarf es aber einer grundlegenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Trotz technischen Fortschritts, Digitalisierung und Automatisierung hat sich die Produktivität im Vergleich zu den 2000er-Jahren halbiert. „Diese Entwicklung ist für Deutschland angesichts einer alternden Gesellschaft und einer demnächst stark sinkenden Erwerbsbevölkerung besonders nachteilig. Gelingt es nicht, den negativen Produktivitätstrend umzukehren, wird der Standort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wachstum und Wohlstand werden deutlich leiden“, betont Dr. Alexander Börsch, Chefökonom von Deloitte Deutschland.
Die Zukunftsaussichten der Studie sind besorgniserregend: Heute liegt das Wirt-schaftswachstum durchschnittlich bei 1,2 Prozent pro Jahr. Dieses könnte dann bis 2030 auf 0,4 Prozent gesunken sein. Deutschland steuert also geradewegs wieder darauf zu, der „kranke Mann Europas“ zu werden. In den nächsten Jahren könnte aus dem Konjunktur-Vorbild wieder das Schlusslicht in Europa werden.
So kann Deutschland besser werden
Um dieses Schicksal abzuwenden, bedarf es laut der Deloitte-Studie wesentlicher Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt, der Digitalisierung, der Innovation und bei den Firmengründungen. Mit der „richtigen“ Politik wären in den kommenden Jahren in Deutschland Wachstumsraten von 3,4 Prozent jährlich möglich. Im Fokus der Politik müsste der Arbeitsmarkt stehen – hier könne auch die fortschreitende Automatisie-rung den Fachkräftemangel nicht kompensieren. Die Studie spricht sich deshalb da-für aus, mit flexibleren Arbeitszeiten und einer umfassenden Kinderbetreuung mehr Frauen von heutiger Teilzeitbeschäftigung in Vollzeitarbeit zu bringen.
Auch eine höhere Erwerbsquote ausländischer Arbeitskräfte und älterer Arbeitnehmergruppen würde helfen, das Potenzial auf dem Arbeitsmarkt besser auszuschöpfen. Hinzu kommt: Über betriebliche Weiterbildungen können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich kontinuierlich für die sich stetig wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes qualifizieren. Damit verbessern sich die Jobchancen und die Produktivität steigt. Maßnahmen zum lebenslangen Lernen würden laut Deloitte Wachstumsimpulse von bis zu 0,3 Prozentpunkten pro Jahr auslösen.
Mehr Entschlossenheit
Weiter wird die Digitalisierung die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Standorten bestimmen. Hierzu braucht es aber deutlich mehr private wie öffentliche Investitionen in digitale Infrastruktur und Technologien: „Deutschland muss die Digitalisierung entschlossener angehen und deutlich an Umsetzungsgeschwindigkeit gewinnen. Ohne signifikante Fortschritte werden die Wertschöpfung sowie das Wachstums- und Beschäftigungspotenzial der digitalen Industrie in Deutschland ungenutzt bleiben“, sagt Volker Krug, CEO von Deloitte Deutschland.
Deutschland kann mehr: Dafür ist eine entschlossene Reformpolitik der Ampelregierung und eine langfristige Strategie die beste Wachstumsvorsorge. Wie die Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden, entscheidet über den zukünftigen Wohlstand Deutschlands – die Jahre der Bequemlichkeit sind vorbei.
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